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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Juden vom Halse schaffen.
    Sie taten das für Arthur Semig, Doktor der Veterinärmedizin, Hausbesitzer, Kontoinhaber.
    Sie taten das nicht für Oskar Tannebaum, der in der Kurzen Straße in zwei Zimmern an einem Hof wohnte, ohne daß ihn die Ladenklingel noch oft zu Verkäufen gerufen hätte. Gummistiefel, Blaue Jacken, Grüne Mützen, all das konnte man von Gneez mitbringen, von Wismar, von Lübeck. Herr Tannebaum zahlte seine Steuern wie Semig, aber er hatte nicht Freunde in den bürgerlichen Familien, seine Kinder schickte er in zu oft ausgebesserten Sachen vors Haus, seine Frau kaufte so sparsam ein, als fürchte sie betrogen zu werden. Der hatte reiche Verwandtschaft in der Kreisstadt gehabt; der Verwandtschaft war er nicht ansehnlich genug gewesen zum Mitnehmen nach Hamburg oder Holland, wohin die immer gefunden hatten. Oskar war nicht Mecklenburger, seine Frau war aus den verlorenen Ostgebieten. Und schließlich waren die Tannebaums im besten Fall vor zehn Jahren nach Jerichow gekommen.
    Dr. Arthur Semig hingegen kam aus der griesen Gegend, fast konnte man schon an Ludwigslust denken und die großherzogliche Residenz, seine Frau war eine geborene Köster aus Schwerin und überdies von Natur evangelisch, Arthur hatte seine Praxis vor siebzehn Jahren in Jerichow angefangen, er war nicht nur in die Ställe, auch an die Kaffeetische gebeten worden, ob nun bei den Bülows (den »Oberbülows«) oder bei Dr. Erdamer, Arthur hatte dazugehört mit Besitz, mit Bildung, mit seinen zutraulichen Erzählungen, mit seiner Verschwiegenheit, seinen unzähligen Reimen für jedes Kind, das ihm vor die Beine gelaufen war. Arthur sollte nichts passieren. Er hatte schon etwas eingesehen, als er sich das kleine viereckige Bärtchen unter der Nase wegnahm; er konnte nun gar nicht anders als einsehen, daß er weggehen sollte.
    Papenbrock hat angefangen. Nein, angefangen hat dies Mal Axel von Rammin. War es nicht doch Avenarius, Avenarius Kalter Morgen? Cresspahl war es.
    Sie kamen von vielen Seiten auf ihn zu, da half ihm ärgerliches Benehmen nicht, und seiner Verlegenheit hörten sie so ausdauernd zu, daß jeweils er das nächste Wort sagen mußte. Er konnte einen von Rammin, Baron seit Jahrhunderten, nicht gut aus dem Hause weisen, wenn der sich zu einer Beratung wegen Kuhstall-Umbauten angemeldet hatte und sein Gespann nicht auf den Hof fuhr sondern es auf der Bäk, mitten auf der Straße anband, allen Blicken sichtbar. Von Rammin hörte sich wirklich eine halbe Stunde an, was Semig ihm an neuester Hygiene in der Rinderzucht vortragen konnte. Dann, ohne daß er sein voll ausgekantetes Gesicht weniger streng gehalten hätte, kam er zu sprechen auf einen Freund im Österreichischen, für den Semig schon einmal etwas erledigt hatte, auf den Grafen Naglinsky, genannt Nagel, kurz Beatus Nagel. Beatus sei nach wie vor erleichtert, daß sein Weimaraner nach Semigs Kur so erholt sei, Beatus verfüge über umfängliche Ländereien und sei im übrigen erhaben über die Albernheiten eines Hitler und halte den deutschen Reichskanzler gar nicht für einen echten Landsmann. Nun war Naglinsky etwas aufgefallen. Er hatte seine Hunde; obendrein aber stand bei ihm Milchvieh, bewegte er Pferde, hatte er Verluste unter Schweinen wie Hühnern. Für alles mußte er einen Arzt aus der Stadt kommen lassen. Es war demnach nicht die Ökonomie, sondern die Vernunft, einen eigenen Veterinär zu halten, dem er einen Nebenerwerb im Dorf nicht beschneiden werde. Und bei ihm äßen Akademiker an der Tafel mit und hätten Wohnung im Schloß. Herr von Rammin bat um die Zusendung einer Liquidation für die Konsultation, ließ sich Frau Dr. Semig empfehlen und ging mit einer selbstempfundenen Bemerkung über das niederösterreichische Klima. Und es war Semig, nicht der Baron, der sich übers Haar streichen mußte, als er in seiner Tür stand und dem ungebetenen Ratgeber nachsah.
    Papenbrock wollte nicht. Papenbrock weigerte sich, das Geld von Semigs Konto als Tilgung eines Darlehens in die eigene Kasse zu nehmen; es sei eine Vortäuschung von etwas und gegen die guten Sitten. Papenbrock sperrte sich dagegen, Semigs Haus zu kaufen; an Häusern mangle es ihm nicht in Jerichow, und er benötige sein Bares für eine versprochene Sicherheit in Lübeck.
    Papenbrock hatte Angst. Der alte Mann saß krumm da, legte die Zigarre angewidert weg, biß am Fingerknöchel und hatte sich endlich so weit, daß er auf die Juden zu schimpfen anfing, mit einer hackenden fast keifenden

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