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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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als einen Norweger, dann als einen Bürger der U. S. A., später als einen Paßmexicaner ausgegeben hatte, war es seinem Bruder so schwer gefallen, ihn zu finden. Sehr viel später wiederholte Horst diesen ersten Erzählnachmittag von seiner Seite her, aber nicht gegen die Eltern, und erst, als Keiner ihm das noch als Groll wegen des Erbnachteils auslegen konnte.
    Von Montevideo wußte die Familie durch einen inzwischen gefallenen Regimentskameraden Papenbrocks, den Robert noch um Geld angegangen war. In Montevideo war von Robert nichts zu hören. In Porto Alegre, Paranaguá, Santos, Rio de Janeiro waren viele durchgekommen, die vielleicht einmal so ausgesehen hatten wie der Junge auf dem Bild. Inzwischen konnte Horst sich mit Portugiesisch zumindest gegen die habsüchtigsten Auskünfte verteidigen, und da er Papenbrocks Geld nicht ohne Trotz ausgab, empfahlen seine Hoteladressen ihn bei den deutschen Kolonien. Von den Deutschen hatte Robert sich ferngehalten.
    Auf der Hazienda einer deutschstämmigen Familie war Robert Inspektor gewesen. Fünf Autostunden von Salvador, auch als Bahia bekannt.
    Robert hatte in Vietsen von Landwirtschaft nur so viel gelernt, wie es beim Ansehen der Arbeit ging. Robert konnte nicht autofahren.
    Mit Chauffeur. Desgleichen, als er eine Fabrik in Colón verwaltete. Am Panamakanal. Wo er sein erstes Amerikanisch lernte.
    Spanisch als Taxifahrer in Mexico. Mexico City. Die Höhen und Tiefen des Lebens.
    An dieser Stelle, gegen vier Uhr nach dem Mittag, bestellte Robert einen Schnaps für sich; und Lisbeth nahm das Kind an die Hand und ging weg zu Haushaltpflichten, die sie sich für diese Tageszeit hatte einfallen lassen.
    Die Canal Street in New Orleans; wer die nicht gesehen hat. Die gelben Wogen des Mississippi. Die edelmütigen Indianer Arizonas.
    Wie Robert die Golden Gate Bridge bauen half. Mit einer Schubkarre Steine über eine schmale Bohle fahren. Der tückische Neger, der ihn anstieß. Ein Mecklenburger Jung, wie wird er denn und in der San Francisco Bay absaufen.
    Und immer gespart. Das Geld in einem Beutel auf der Brust, wenn er mit Güterwagen ostwärts zog. Trampte. Die anderen, die mit ihm auf dem Dach lagen, ihre mißgünstigen Blicke. Da sei mancher über die Kante gerollt, und wenn die Schienen an einem kilometertiefen Abhang liefen, war es gerade richtig. Und doch nie dem Bilde … dem Andenken … dem Glauben von uns liebn Mudding Schande gemacht. Aber Überleben sei alles.
    In Hoboken mit dem Kapital ein Fuhrgeschäft aufgekauft. Drei Arbeiter. Alles in der Depression verloren. Dann, immer das übermächtige Manhattan vor der Nase, das mußte doch zu schaffen sein. Stauer im Hafen, und doch ein angezahltes Haus in Long Island City. Teilhaberschaft an einem Restaurant mit einem alten Mitglied des schweriner Ruderklubs, so in den neunziger Straßen am Broadway. Dann der Aufstieg Deutschlands aus der Asche der Demokratie. Als Horst ihn fand, war der Paß schon beantragt. Oder doch so gut wie. Horst habe ihn nur noch mecklenburgisch und gleich schwören müssen. Just on a technicality. You know.
    Durch und durch verjudet und verniggert, die Amerikaner. Diesen Krieg gewinnen wir.
    Auf eigenen Füßen zu stehen gelernt. Der Familie nicht zur Last fallen. Ganze Kraft einsetzen für den Sieg des Nationalsozialismus in der übrigen Welt.
    Auf jener Postkarte mit der Neuen Reichskanzlei hintendrauf hatte er geschrieben: sie drehten ihn in Berlin durch die Mangel, und nehmen müßten sie ihn doch.
    Im September 1936 hielt er schon eine Rede, auf der Reichstagung der Auslandsorganisation der N. S. D. A. P. in Erlangen, »vor 5000 Deutschen aus allen Erdteilen«.
    In Jerichow galt aber, daß in Pastor Brüshavers Predigt am Morgen nach Roberts Ankunft der glücklichen Fügung nicht Erwähnung getan worden war; die Papenbrocks hätten sich das bestellen können. Es galt, daß Avenarius Kollmorgen wissen mußte, ob Papenbrock sein Testament hatte umschreiben lassen, und daß Avenarius gelegentlich der erlanger Rede immer nur auf seine Zeit in Erlangen kam, und was dazumal die Schicklichkeit gewesen sei. Es paßte, daß Papenbrock mit jenem Robert nicht Staat machte. Geschickt war der Alte von je gewesen. Sie bedienten sich seiner nicht, und obwohl Robert mittlerweile fast zwei Jahre zurück war, wurde er bei dem Gedanken an Papenbrocks fast vergessen. Was machte es da, ob er es war, oder nicht.
    Lisbeth hatte es nicht gefallen, daß der Fremde sie nach mehr als zwanzig Jahren

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