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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Robert Papenbrock 1935 oder 1937 war, wußte nicht einmal die Familie zum Beschwören genau. Er war ein Mal nach Jerichow gekommen, vielleicht nur weil Horst darauf bestand, denn er blieb den Sonnabend und fuhr am Sonntag ab zur Gauleitung in der Landeshauptstadt und schrieb eine Ansichtenkarte aus Berlin, und da er jene Frau in seiner schwerinschen Villa nicht geheiratet hatte, konnte er eine Anzeige davon nicht auf die Post geben. Ihn war schlecht besuchen, denn wenn er Besuch nicht schon hatte, war er abwesend in einem Dienst, der aus Reisen bestand. Erster Klasse, Schlafwagen.
    Er konnte es sein. Jenem Robert, der im Mai 1914 aus Parchim weglief, war eher eine hagere Leiblichkeit zu ahnen gewesen; dieser war groß, massig, im Gesicht speckig. Er hatte auch das passende Alter, Robert wäre jetzt ein wenig über die Vierzig. Der Robert, der in Vietsen und Waren aufgewachsen war, hatte ein fixes, anschlägiges Wesen gehabt; dieser war behaglich, hatte Sitzfleisch, war nicht rasch mit dem Maul. Zu putzig, daß er nicht einmal gefragt hatte nach dem Kind, das er der Tochter seines Französischlehrers gemacht hatte. Der Robert, den die Papenbrocks kannten, hatte nicht Bedenken gehabt, Schulden durch die ganze Stadt Parchim zu streuen; dieser hatte sich ins Benehmen gesetzt mit dem Gutsbesitzer, dem er zwei Remontepferde nicht nach Schwerin überführt hatte sondern ausgeliehen auf eine Art, die noch heute als Diebstahl galt; womöglich hatte der Geschädigte bei Roberts Partei gegen ihn geklagt. In dieser Sache gab Robert sich verwundert und hatte augenscheinlich erwartet, Papenbrock sei es eine Ehre gewesen, auch für die Pferde noch zu zahlen. Von jenen Zeiten sprach er wie eine Katze, der der Brei noch zu heiß ist. War es denn möglich, daß Einer das Plattdeutsche in bloß zwanzig Jahren so schlimm verlernen konnte? Ein Mecklenburger Kind? Nun mochten die fremden Sprachen etwas Ätzendes haben. Louise Papenbrock konnte sich am wenigsten abfinden mit der Glatze, nicht einmal dem Alten hatte sie einen so runden Vorderkopf gemacht. Aber wenn sie sich Röbbings Kinderhaare dachte, den stützigen Schopf von damals … und in Übersee lag man an Krankheiten, so gefährlich gab es sie nicht in Mecklenburg. Ja. Nu segg doch bloß eins an, Röbbing. Worüm hest du nu nich schrewen?
    Robert sprach in seiner neuen gemütlichen Art von dem Stolz, den Einer habe, und Louise auf dem Sofa konnte mit einem Mal nicht mehr erinnern, ob denn ihr ewiger Fluch beigepackt war zu den zweihundert goldenen Mark, die sie dem »armn Jung« nach Hamburg in das Gängeviertel geschickt hatte. In der Anzeige im Hamburger Fremdenblatt war ihre Rede anders gewesen: Kehre zurück, alles vergeben, deine Mutter, geb. U. aus G-w. Papenbrock hatte sich so in seinem Stuhl gelagert, daß ihm der Bauch bequem obenauf lag und er alle Aufmerksamkeit frei verwenden konnte für den großen trägen Menschen, der sich den Mund an einem hölzernen Zahnstocher verrenkte. Papenbrock dachte an einen Stolz, der nicht ausgereicht hatte für eine Rückkehr nach Deutschland, als es im Krieg war gegen die halbe Welt. Cresspahl saß am Tisch neben Horst und versuchte seine Miene einmal anders als von der Seite zu erwischen, aber der blieb so vornüber gehalten und betrachtete seine Hände, als müsse etwas Zuwideres doch ausgestanden werden. Cresspahl hatte seine Augen auf Lisbeth, die das Gesicht des Ankömmlings durchsuchte, das Kinn auf die verschränkten Hände gestützt, gutwillig aber noch mehr erstaunt, und in keinem die kleinere Schwester von einst; Cresspahl lag mehr daran, wie sie ihm zum Leben gefiel, auch wie ihr Kind um den Tisch wanderte, einmal neben ihm, einmal neben der Mutter Platz nahm, in einem ernsthaften Spiel. Es kam dann vor, daß die Blicke aller rasch und heimlich herumfuhren zu Horst, von ihm war nicht mehr zu bekommen als ein Nicken, das mehr ihm etwas zu bestätigen schien als den anderen. Horst dauerte wohl der Verlust des Erbes an den Erstgeborenen, und schließlich war er nicht dabei gewesen.
    Na, gut. Robert hatte es mit dem Stolz gehabt. Mußte das nun wirklich sein, daß er falsche Papiere kaufte und auf einem Amerikaner anheuerte nach Montevideo? so stand es doch in zu vielen Büchern. Und immer die Ehre der deutschen Nation hochgehalten, unseren herrlichen Kaiser, das stolze Mecklenburg-Schwerin, und wenn einer was wollte, gleich gefragt: Wist de Jack vull hebbn? Kumm man ran! Auf deutsch, wie denn sonst.
    Weil Robert sich anfangs

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