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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Gesine!
    – Comments on Lisbeth?
    – Deine Mutter. Weil sie deine Mutter ist, habe ich sie fast immer entschuldigt, wenn du von ihr erzählst. Mittlerweile ist sie krank, und Keiner wird ihr helfen. In einem Land wie dem unseren, in New York, sie wäre längst bei einem Schädelschrumpfer, und geheilt. Sie wär nicht mehr in ihre Kirche eingesperrt, sie könnte sie von außen sehen. Und weil sie die nächste ist, die stirbt. Du selber schonst sie.
    – Weiter.
    – Siehst du. Den Handwerkern, Tischler Böttcher, Maurer Köpcke, Schneider Pahl, ihnen rechne ich es nicht nach. Die haben ihren ersten Krieg nicht begriffen, was sollen die machen, als für den neuen bauen. Der mir die Platten für dein Haus ausgesägt hat, in den neunziger Straßen, er war in Korea, auch verwundet. Den solltest du reden hören über Viet Nam! Deine Studierten aber, Dr. Hauschildt, Dr. Semig, Dr. Avenarius Kollmorgen, Pastor Brüshaver, Dr. Kliefoth, Dr. Berling, Dr. Erdamer -
    – Hi, Mr. Faure. Mrs. Faure.
    – Oh certainly. It’s a perfect winter day.
    – Take care on the steps.
    – Brüshaver kannst du ausnehmen. Der hat den Sohn aus der ersten Ehe in einem verlöteten Kasten aus Spanien zurückbekommen.
    – Sorry. Und immer noch ein Zufall. Bei Semig will ich bedenken, daß er nicht für möglich halten konnte, was wir jetzt als möglich kennen. Aber die anderen, die mit ihren Zeugnissen von Universitäten, those professionals, diese Helden mit dem Maul!
    – Beautiful language, Miss Cresspahl.
    – Ich mach mir nicht einmal die Mühe, sie zu beleidigen!
    – Cresspahl.
    – Den würde ich verachten, wär er nicht dein Vater. Es tut mir sehr leid. Entschuldige. Ich wollte das nicht sagen. I do take it back, and I mean it.
    – Deinen Großvater?
    – Den. Er als Einziger hatte die Augen weit offen, er hatte seins aus dem ersten deutschen Krieg gelernt - wobei eigentlich?
    – Bajonettangriff zu Ehren eines kaiserlichen Geburtstages, an der Westfront. Daß man Leute abstechen kann, nicht ohne Spaß an der Sache. Und jener Gasangriff bei Langemarck.
    – Eben. Wenn er es wenigstens mit den Niederlanden versucht hätte, die sahen doch noch nicht aus wie Kriegsteilnehmer; für den Versuch hätte er bei mir auf immer einen Stein im Brett, sagt man im Deutschen so? Und hatte ein Kind, eine Gesine, und ließ sie da sitzen, wo er die Bomben erwartete. Oft finde ich schrecklich, wie du glauben kannst, daß alle diese Leute in Jerichow dich gemacht haben; daß du heute bist wie du bist, weil sie waren wie sie waren!
    – Wenn Cresspahl nicht von Papenbrock das Haus genommen hätte, säßen die Cresspahls 1945 in England, wenn auch vielleicht interniert, und Jakob würde bei anderen Leuten um eine Unterkunft fragen. Wenn Dr. Berling sich nun auch noch auf andere Gemüter verstanden hätte als auf seins …
    – O. K. Deswegen sind wir in New York?
    – Deswegen.
    – Und da und vor dreißig Jahren ist es vorbereitet worden, daß du ein Geldstück zu zehn Cent lieber in der Hand fühlst als einen Halbdollar?
    – Ja. Vielleicht, weil es eine holländische Münze gibt, die greift sich an wie zehn Cent.
    – Das finde ich unerträglich. Aber ich bin so, deinetwegen?
    – Es kommt vor. Wir haben einen vergessen. Horst.
    – Mit dem bin ich fast einverstanden. Lach nicht. Er hatte sich geirrt. Dann hat er etwas gesehen. Denn wen immer er da identifiziert hat, er ist doch in New York gewesen.
     
    Sie ging behaglich neben mir her in dem schneidenden Wind, zuverlässig verpackt in ihrem schweren Mantel aus London, ihrer Klappenmütze, in sich. Wir hatten die Sonne im Rücken, und sie versuchte, Schritt für Schritt auf ihren Schatten zu treten. Im Winter, wenn die Häuser auf dem Steilufer New Jerseys in Schnee und blendendem Gegenlicht versteckt sind, an den ungleichmäßig weißen Felsen hätte Henry Hudson seinen Fluß vielleicht doch erkannt. Marie hält es für möglich. Und für gewiß nimmt sie, daß Einer in dieser ihrer Stadt, und sei es am untersten Anfang des Broadway und nicht an der Park Avenue, wo die Westdeutschen heutzutage ihren Staat machen - sie ist sicher, daß Einer wenn nach New York auch zur Vernunft kommen müsse.
    Was sie als Kind geglaubt hat, man sollte es ihr aufschreiben.

8. Januar, 1968 Montag
    Zuverlässig sind wir der New York Times nicht entgangen. »Und die Anwohner des Riverside Drive fanden den Hudson mehr mit Eisschollen bedeckt als in vielen Jahren zu dieser Periode des Winters.« Als hätte sie uns

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