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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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jenen Krieg, er will nicht auf den Markt fahren und seine Frau erkennen mit einem handgemalten Plakat gegen den Krieg; er will eine Frau im Haus, bei den Kindern, in der Küche, im Schlafzimmer. Du hättest dem Namen der Fleurys Schande gemacht. Und wo du die Pausen hinlegst, soll Marie etwas nicht für möglich halten, ich aber mir etwas vorstellen. Ja Annie.
    Weil ich wußte, du wirst mich verstehen, Gesine.
    Ja. Nein. Annie, bleib hier. Bleib eine Woche, bleib zwei, mach ihm Angst. Wenn du einen Tag in unsrer Wohnung bleibst, ich werd sie abends nicht wieder erkennen vor Sauberkeit und Schick. Es ist mein Vorteil. Wir werden in die Oper fahren, in die Filmtheater, ins Konzert; und Mr. McIntyre von der Bar des Marseille soll sich wundern über uns. Marie kennt auch die Märchen von deiner, von unserer Ostsee, die deine Kinder erwarten; sie wird mit ihnen in den Park gehen, in den Zoo in der Bronx, an den Broadway. So halten wir uns vergnügt. Drei Wochen, wie du willst. Dann sprich mit ihm, mit F. F. Er wird klein sein, sehr klein mit Hut, Annie. Wo immer er zu Hause war, man hat ihn bedient; er kann nicht kochen, er weiß mit Waschmaschinen nicht umzugehen, nun hat er noch verlernt, wie ein Typoskript herzurichten ist für den Druck. Ihm wird nicht nur eingefallen sein, wozu er dich braucht; auch, daß er dich benötigt. Das mit Viet Nam werd ich ihm erklären, wenn du darauf bestehst. Aber geh zurück. Die Kinder. Eure fünf Jahre. Meinetwegen laß ihn bitten; er wird sich das weniger vergeben können als dir. Dann laß ihn dich holen. Es geht mich nichts an; du gehst mich an.
    Du lebst in einer Ehe von Mal zu Mal, wenn du willst, wie man ein Stück aufführt, Gesine. Verheiratet leben, du kennst es nicht.
    Also gut, An-nie. Wir suchen dir eine Wohnung in New York, wir empfehlen nicht ausdrücklich den Riverside Drive. Wir suchen dir eine Arbeit in New York; ich rate dir nicht sehr zu der Bank, die mich hat. Oder geh zurück zu den United Nations, sie nehmen dort immer noch nur die Hübschen. Aber tu das nicht und nimm ein Schiff nach Liverpool und Hamburg und Stockholm und Helsinki und Kaskinen, oder Kaskö. Was ist denn das für ein Finnisch, das deine Kinder sprechen. Francis R., der hat noch das beste, Annina ginge so durch. Aber F. F. junior, dem kriegst du das Amerikanisch kaum aus dem Mund. Schreib noch nicht deinen Eltern. Bleib noch in der Nähe. All right. Noch fünf Tage. Wenn du dann redest wie heute, geh ich mit dir die Schiffstickets kaufen.
    Weil du meine beste Freundin bist, Gesine. Hast du das nicht gewußt?
    Nein. Entschuldige: Doch. Ich meinte: Ja.

9. Januar, 1968 Dienstag
    In der kalten kalten Stadt sind in der vorigen Woche 165 Menschen an Lungenentzündung gestorben, 70 mehr als erwartet, und das Blut für Operationen wird knapp. Charles Gellman, Direktor des Krankenhauses Jewish Memorial: »Der Krieg in Viet Nam hilft auch nicht gerade, weil da eine Masse Blut hingeschickt wird.«
    Der Spielplatz zwischen den Straßen Hudson, Gansevoort, 4. West und Horatio, auf der Höhe von Pier 52, heißt seit gestern nach John A. Seravalli. Der Junge hatte dort Basketball gespielt. Am 26. Mai 1966 zog die Armee ihn ein. Am 28. Februar 1967, einundzwanzig Jahre alt, wurde er auf einer Patrouille nahe Souida getötet.
    Im Sommer 1937 wollte Horst Papenbrock sich aus freien Stücken zur Wehrmacht melden.
    Als er es Lisbeth sagen wollte, traf er sie beim Besteckputzen. Sie hatte den Küchentisch mit Handtüchern ausgelegt, und die Arbeit schien ihr durch die Hände zu rutschen, so schnell wendete sie drei Messer zwischen den Fingern, tupfte den Korken in Wasser und dann in das Schmirgelpulver in der aufgezogenen Schublade, rieb die Klingen sauber, legte sie zum Nachwischen in die Wanne beiseite. Es war ein warmer Nachmittag, im späten Juli, das Gartenlicht, vom Fenster in Rechtecke aufgeteilt, war schon niedrig. In der Nähe machten die Stare sich mausig und über die reifen Kirschen her, von ganz weit her war Paap beim Umstapeln von Balken zu hören. Es war ein Sonnabend, das Gefühl von Arbeitsruhe schlug schon durch. Horst mochte nicht gleich anfangen, so daß Lisbeth an einen gewöhnlichen Besuch glaubte und zu erzählen anfing von der Reise, die sie am Vormittag zum Heeresbauamt in Gneez hatte tun müssen, auch von den Gesprächen in der Eisenbahn. Insgeheim dachte sie daran, daß sie ihre Haare hätte waschen sollen, und war ärgerlich, daß auch Horst nun einen Augenschein bekam für das

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