Jahrestage 2
nicht von Natur dumm sein müsse, wenn schon ehrlich. Für Anlässe der Versöhnung lernte sie die Friedenspfeife, die Kriegsbemalung als Ausdruck für das jeweils neueste Kleid; und es ging nicht an, ihr Mißtrauen vorzuschlagen gegen die Sprache, die sie nun schon für eine Schule brauchte. Von durchreisenden Bescheidwissern übernahm Marie, daß die überlebenden Indianer zu nichts gut sind als für die Hochbauarbeiten in der Stadt, wegen ihrer Unempfindlichkeit gegen Schwindel; dann will sie nicht als erstes hören, daß sie es sind, die New York weiterbauen, sondern hat schon eher erwartet, daß die weißen Bauarbeiter ihr Mittagsbrot mit Kaffee einnehmen, die Indianer aber in jeder Arbeitspause sich vollschütten mit dem Schnaps, der ihnen als Feuerwasser aufgeschwindelt wurde. Von da war es nicht weit bis zu ihrer Meinung, daß die ländlichen Wohnplätze der Indianer zu Recht Reservationen und nicht Camps heißen, da sie anders zu leben ja nicht vermöchten; da war es zu spät. Sie ließ sich gehorsam berichtigen; sie konnte anders nicht mehr denken. Sie erkennt Indianer nun nicht mehr allein an ihrer Gesichtsbildung, auch an ihrem Auftreten ohne Selbstbewußtsein, der verwischten unsicheren Miene, dem Mangel an Anpassung, der ihnen selbst die Kleider uneben hängen läßt; sie sagt von ihnen ohne Bosheit, im Ton des Feststellens: Vanishing Americans. Verschwindende Amerikaner, als sei es in der Ordnung, daß die ihrer eigenen Hautfarbe überlebten.
Was sie gesagt hätte von dem Indianer, der heute abend bewußtlos an einem Treppenaufgang unter dem Times Square lehnte, ich möchte es nicht hören. Er wußte nicht wo er war, wie er sich befand, es war gewiß dunkel um ihn, und doch fehlte ihm in seiner Betrunkenheit das Behagliche, das von Kenntnis Erlöste, das Aufgeben und das Vertrauen auf Hilfe in einem. Er war weg, und doch eben da zu fassen. Die Lider flatterten unmerklich. Der modische Schnitt seines Mantels, er würde ihn nicht schützen, nicht gegen die Kälte, nicht gegen die Bahnpolizei. Marie wär imstande gewesen, zu sagen: Sitting Bull, oder: Häuptling Regen-im-Gesicht; und wäre erst dann, in Unschuld, des Rippenstoßes von mir gewärtig gewesen, des warnenden Griffes um die Schulter, der sie nicht mehr einholt, wo sie jetzt mit ihrer Sprache lebt.
Was du ihr erzählt hast über die gleichen Rechte der Menschen, sie weiß es doch, Gesine.
Aber sie glaubt es nicht. Sie kann es nicht sehen.
Sie erziehen Ihr Kind nicht richtig, Mrs. Cresspahl.
5. Januar, 1968 Freitag
Die wöchentliche Zählung der Verluste verzeichnete 185 Amerikaner, 227 Südvietnamesen und 37 weitere alliierte Soldaten, die in der letzten Woche im Kampf gefallen sind.
… Amerikanische und nichtvietnamesische Streitkräfte meldeten die Tötung von insgesamt 623 feindlichen Soldaten; die Gesamtsumme der von den Südvietnamesen Getöteten war 815.
Die amerikanischen Verluste bis zum 30. Dezember brachten die Todesopfer von 1967 auf 9353 und die insgesamt im Krieg Getöteten auf 15 997.
»In einem 90minütigen Scharmützel nur fünfzehn Meilen von Saigon entfernt wurden gestern sechs Angehörige einer Einheit der 25. Infanteriedivision getötet und 13 verwundet. Wenige Stunden später wurden 4 andere Amerikaner getötet und 21 verwundet, als ihre Stellungen irrtümlich durch Flugzeuge Amerikas und Süd-Viet Nams bombardiert wurden.
Die 25. Division steigerte wiederum die Todesopfer des Feindes von der Schlacht am Montag 60 Meilen nördlich von Saigon auf 382. Truppen durchsuchten den Dschungel in der Nähe des Artilleriestützpunkts, den Teile des 271. und 272. Regiments des Viet Cong zu stürmen versucht hatten, und fanden weiterhin 75 automatische Gewehre, 11 Leichte Maschinengewehre und 18 Raketenwerfer.«
© by the New York Times Company
»Das Verteidigungsministerium wird den Verkauf großer Waffenmengen im Ausland fortsetzen, um die Abwanderung des Goldes zu bekämpfen. Kreise des Pentagons teilten mit, daß man von den Verkäufen in diesem und den beiden nächsten fiskalischen Jahren die Gesamtsumme von mindestens 4,5 Milliarden bis 4,6 Milliarden Dollar erwarte. (Siehe Seite 1, Spalte 4.)«
© by the New York Times Company
»Newark, 4. Januar
LeRoi Jones, der kämpferische Schriftsteller, Neger, wurde heute zu zweieinhalb Jahren im Staatsgefängnis von New Jersey und 1000 Dollar Strafe verurteilt, weil er während der Aufstände in New Jersey im letzten Sommer zwei Revolver illegal in Besitz
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