Jahrestage 2
Stimme, mit abfälligem Handschwenken, sehr begierig auf das Ende der Unterredung. Er war so geniert, er mochte Cresspahl nicht ansehen.
Semig war sehr zufrieden. Auf die Art war es nicht von ihm zu verlangen. Er hatte sich daran gewöhnt, ohne das Telefon zu leben. Die Fahrten über Land, die Nachtarbeit, es hatte ihn doch angestrengt; jetzt kam er zum Lesen. Auch Dora komme besser aus mit dem Haushalt, den regelmäßigen Zeiten. Ihm falle es nicht schwer, auf den Skat mit Dr. Berling zu verzichten; ohnehin sei Cresspahl da besser, und einen Dritten würden sie noch finden. Er lasse sich nicht wegschicken aus Jerichow.
Dann kam Dr. Avenarius Kollmorgen, Anwalt der Rechte. Er ging nicht in die Bäk, er lud das Ehepaar Semig und das Ehepaar Cresspahl ein zu einem Abend mit Rotwein und, wenn es denn sein sollte, Skat. Avenarius hatte Kummer. Es ging ihm gegen den Strich, daß sein Kollege, Friedrichsen in Güstrow, sollte Erniedrigungen hinnehmen müssen, die nicht nur das Jüdische an ihm, sondern geradezu seinen Stand betrafen. Friedrichsen hatte er nicht helfen können; er konnte immer noch einem Akademiker am Ort unter die Arme greifen.
Is Friedrichsen döfft?
Nei.
Steit dat noch an?
Steit noch up sin Schild: Dr Jur.
Schrifft dat an, dat he n Juden is.
Kollmorgen hatte wiederum sein Dienstmädchen aus dem Haus geschickt, zog seine Gäste selber, an ausgestreckter Hand, in seinen Salon und hielt stehenden Fußes eine Rede, in den Füßen wippend, den mächtigen Kopf hoch erhoben über dem kleinen gedrungenen Körper. Er sprach von den Rechten. Es lief darauf hinaus, daß er ein Darlehen benötige, unter anderem für den Kauf eines »uns bekannten« Hauses an der Bäk, und daß er in den Geboten und Verboten des Devisenrechtes nicht eben firm sei sondern dergleichen seit eh und je einem »Handelshause« zu Bremen übertrage, das er empfehle. Er wölbte seine Augenbrauen so prozeßmäßig wie in den berühmtesten Stunden seiner Zeugenverhöre, er blickte Dora Semig nahezu liebevoll in die Augen, er gab sich Mühe. Dann trank er sehr rasch, war für einen Skat bald nicht zu gebrauchen, starrte seine Gäste trübglasig an, und die Mundwinkel hingen ihm. Cresspahl, der allein gekommen war, kam er vor wie ein altes Kind, das eine Kränkung nicht verbeißen kann.
Denn Semig sah es nicht ein. Er verbat sich die Einmischung. Er ließ sich von Dora für seinen Ton tadeln. Er ließ Dora Zeit, das Ihre zu sagen. Und Dora sah ihn an, legte die Lippen etwas fester aufeinander, und nickte. Sie hatte nicht einmal geseufzt.
Cresspahl bot Semig sein Guthaben auf der Surrey Bank of Richmond zur Verrechnung an, und Arthur wollte davon nichts hören. Cresspahl sagte: Wir heben alles getreulich auf, und nicht ein Pfennig soll fehlen; Semig sagte: Mein lieber Herr Cresspahl! wenn ich Ihnen nich gut genuch bin -
Axel von Rammin hatte die Briefe von seinem Beatus richtig bestellt und war nun gekränkt, daß ein Tierarzt sich herausnahm, den nächsten Schritt zu verweigern in einer Sache, die immerhin nicht eine Person gewöhnlichen Standes in Gang gesetzt hatte.
Und Avenarius, wenn er Cresspahl begegnete, vergaß es mitunter, seinen Kopf in anmutiger Drehung aus den Schultern hochzuwinden und mit geheimnisvoller Bedeutung zu sagen: Gut bei Sach, Cresspahl? Good bi Sach?
Lisbeth Cresspahl sagte: Christus war auch ein Jude. Denn sind wir auch welche. Laß Semig man in Ruhe.
Und Papenbrock sagte: Wenn ihr ihn denn loshaben wollt, im Guten geht er nicht. Versucht es doch mal im Bösen!
4. Januar, 1968 Donnerstag
Noch im Frühjahr 1961 hatte Gesine Cresspahl eine Wohnung gefunden in New York, drei Zimmer und fünf Fenster gegen den Riverside Park, den Hudsonfluß, sie war so erleichtert, sie hielt sich für untergebracht, zur Ruhe gekommen.
Sie wußte, es war nicht eben mit Verdienst. Dennoch, fast war sie eingebildet, hätte bei Niemandem angeben können als vielleicht bei einem pensionierten Lehrer des Englischen in Jerichow, und tat sich etwas zugute darauf, daß sie wider ihr verwegenstes Erwarten eine Wohnung zu halten vermochte an einer der berühmten Straßen der Welt, dem Riverside Drive, in den Reiseführern nicht nur vermerkt wegen alten Baumbestandes und Aussicht auf die Steilküste von New Jersey, auch mit Baulichkeiten und Denkmälern, vom Hause des ehrenwerten Charles M. Schwab, der seinem Carnegie die Regierung mit schadhaften Panzerplatten betrügen half, bis zur Gruft des achtzehnten Präsidenten der
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