Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
neben ihm eine Kuh brüllte, mit ihm wurden Geschichten nicht mehr besprochen. Er war fleißig geworden, anstellig, aus Angst vor noch einer Reise nach Dreibergen. Nach dem Krieg versteifte die Frau sich auf eine eigene Siedlung; ihm wäre Arbeit unter Aufsicht besser bekommen. Den holte zu Weihnachten 1945 das Narodnyj Kommissariat Wnutrennych Djel, der fiel nicht auf. Ihm hing immer noch Verachtung an aus der Sache mit uns’ Lisbeth, so wurde in der Stadt weder die Verhaftung noch seine Entlassung groß beredet.
– Wenn der erschossen wird, seid ihr alle schuld.
– Peter Wulff nahm es als seine Schuld. Er hatte dem gestauchten Kerl auf die Beine helfen wollen, als er ihn mitnahm zu einem Treffen ehemaliger Sozialdemokraten mit Erwin Plath, er bereute es gleich, denn Warning bedankte sich überschwenglich für das Vertrauen, für die Wiederaufnahme in die Partei, er sprach geradezu von Glück. So redet man nicht. So war es nicht gemeint gewesen. Ein Versuch hatte es sein sollen.
– Ein Lückenbüßer sollte er sein.
– Ja. Jedoch Wulff hätte ihn wieder eingeschrieben, nein, ihn als Genossen rechnen wollen, weil er sich in der Versammlung ruhig betrug, nüchtern, vor allen Dingen den Mund hielt. Wulff war nicht mehr allein, als Warning über die Vernehmung durch die Sowjets kein Wort sagen wollte, weder Stein noch Bein; vielleicht war der Kerl doch an einer Stelle fest geworden. Wulff glaubte Warning, um so mehr als er versicherte, mit schiefem Lächeln und peinlich feierlichem Händedruck: Juch passiert niks. Zu Neujahr ging Warning hin und hängte sich am Hals auf.
– Ein Verbrechen war es, von so einem Stillschweigen zu verlangen.
– Warning hat den Sowjets die Stimmung der jerichower Sozialdemokraten nicht erläutert. Selbst gegen seine Familie hat er sich verteidigt; die Frau wußte von der Haft nur die vier Tage, die sie gedauert hatte. Er hat ihr nicht einmal gesagt oder aufgeschrieben, warum er das Leben nicht mehr aushielt. Sie hatte als Auskunft nur den Zettel in der Brusttasche seines Kittels, eine abermalige Vorladung zur Kommandantur in Gneez, »einer Formsache wegen«.
– Er hat sich aufgehängt, wo die Versammlung gewesen war. Damit sie ihm glaubten.
– Ja. Im Ziegeleischuppen.
– Wenn er nichts verraten hat, so muß doch einer ihn verraten haben!
– Ja. So hatte er ein Erbe hinterlassen. Eins von seiner Art.
15. Juni, 1968 Sonnabend Tag der South Ferry Tag der Public Library
Du mußt es einmal wissenschaftlich sehen.
Vor dem Beginn des Kampfes werden dem Publikum die Daten der Kontrahenten verlesen, Körpergewicht, frühere Siege, etc.
Mannschaft Prag:
ČESTMIR CISAŘ , Jahrgang 1920. Bekannt für sehr kurzen Haarschnitt und freimütige Redeweise. Achtung: Brillenträger. Promoviert in Philosophie an der Karlsuniversität von Prag. Keine Verletzungen in den sowjetischen Säuberungen! Tat 1956 Dienst als Sekretär beim Bezirkskomitee der K. S. Č. in Plzeň, kam 1957 zurück nach Prag als stellvertretender Herausgeber ihrer Zeitung Rudé Právo, wurde 1961 Chef ihrer Monatszeitschrift Nová Mysl, den Freunden des Sports bekannt als Neuer Gedanke. Im Mai 1963 aufgenommen in das Sekretariat der K. S. Č., wegen Neigung zum kulturellen Dialog und Anhörens anderer Ansichten schon im September degradiert. Auf dem neuen Posten, Minister für Erziehung und Kultur, begann er das Schulsystem der Č. S. S. R. umzubauen, hielt sich grundsätzlich treu an das sowjetisch entworfene Erziehungsgesetz von 1953, jedoch lockerte er den Lehrplan auf, verminderte den Unterricht in Fragen der Partei und setzte nicht jedem Lehrer einen Aufpasser in den Rücken. Zu beliebt bei Studenten wie Professoren, bekam er vom Hl. Novotný nicht die Höchststrafe sondern den Posten des Botschafters in Rumänien, also Training in rumänischer Kulturpolitik. Nach dem Rücktritt Novotnýs berufen in das Sekretariat des Zentralkomitees, zuständig für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, im Gespräch als neuer Präsident der Republik, neuerdings betraut mit delikaten Missionen des Parteivorsitzenden, etwa: der Presse einen sanftmütigen Umgang mit den sowjetischen Brüdern einzureden. Berufsangaben: Journalist und Philosoph.
Mannschaft Moskau:
FJODOR VASSILJEVIČ KONSTANTINOV , in der anderen Ecke des Rings. Jahrgang 1901. Seit 1952 auf führenden Posten der K. P. der Sowjetunion. Autor des Lehrbuches »Historischer Materialismus«. Durfte den zweiten Jahrestag von Stalins Tod begehen mit einem Artikel
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