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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Liberalismus. Hat das nicht was zu tun mit dem Goldstandard?
    – Da noch nicht. Angeboten war Antrieb der Wirtschaft durch das ökonomische Eigeninteresse der Einzelnen, ungehinderter Wettbewerb, geschützt aber nicht gestört durch den Staat, internationaler Freihandel, laissez faire, laissez aller …
    – Es muß am Dolmetscher gelegen haben.
    – Sie wollten ja. Es war ein Geschenk, sollten sie da fragen nach dem eigenen Verdienst darum? Was immer sie dachten beim Namen dieser Partei, er klang doch nach früher, nach der Zeit vor dem Krieg, vor den Nazis. Sie machten es schicklich, sie erbaten Bedenkzeit, da schoben sie Schüchternheit vor, wegen des öffentlichen Redens. Bergie konnte aus ihrem Kopf nicht wegdrängen, daß Pontijs Assistent Wassergahn ja ihr Sohn hätte sein können, den wollte sie wohl über den Löffel balbieren. Frau Köpcke leckte sich die Lippen, sie war als Frau vorgezogen worden. Und wenn es unter den Sowjets Kuchen geben sollte für ehrlichen Handel und Wandel, davon würde sie eine Scheibe nicht schlechter abschneiden als irgend ein Mann. Den Platz an der Tête gedachte eine der anderen zuzuschieben, das tat ihrem vertraulichen Umgang noch nichts. Da klemmte nur eins, das mußte aus dem Weg, das naive Gerede der Nachbarn über Liebedienerei für die Sowjets; hier hatten sie etwas gelernt an dem Leumund, den Cresspahl ihnen verdankte. Dazu fiel beiden die kürzeste Entgegnung K. A. Pontijs ein, die ungefähre Verrechnung einer politischen Betätigung gegen beschleunigte Rückkehr des Ehemanns aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft; war das nun nicht ein ehrenhafter Grund? Es brauchte seine Zeit, den anzubringen in der hergebrachten Gesellschaft Jerichows, Duvenspeck, obwohl Gaswerksdirektor, begriff ihn noch am gefügigsten; unverhofft trat Böhnhase auf als Gründer der lokalen L. D. P. D., Tabak-Böhnhase, ehemals D. N. V. P., sieben Jahre Gefängnis wegen Wirtschaftsvergehen im Jahr 1942, Rauchwaren gegen Räucherspeck, dennoch nicht anerkannt als O. d. F., Opfer des Faschismus, immerhin zur Stelle als Pfeiler des antifaschistischen Liberalismus, Sprechstunden während der Geschäftszeiten, die Rationierung des Tabaks kein Argument gegen die Partei, die Abschaffung der Raucherkarten eins für sie. Frau Köpcke wie Bergie gestanden sich ein, daß sie einen männlichen Appetit unterschätzt hatten, auch war Böhnhase zu lange weggewesen vom Trog; sie traten seiner Partei bei, nun nicht mehr Hauptschuldige, Mitläufer bloß, sie zogen Leute nach, Apotheken-Plückhahn, Uhren-Ahlreep, Kaufhaus-Hattje, Schuster Schneider Leineweber Kaufmann Doktor Totengräber, die Eingesessenen eben, den Nachtwächterstaat vor Augen. Für Papenbrocks Gesicht hätte Bergie was gegeben.
    – Mußte Louise da auch mitmachen?
    – Es war freiwillig, Marie. Erlaubt. Gewünscht. Louise ging in Vertretung ihres Mannes zu der konservativen Partei, die nannte sich Union, wie die Liberalen wollte sie demokratisch sein, bloß im Unterschied zu ihnen christlich. Hier gewann K. A. Pontij seinen öffentlichen
    Ausdruck
    meiner Achtung
    der Sache
    der Gleichberechtigung
    der Frau,
    denn obwohl Pastor Brüshaver nicht allgemein Buße predigte für die deutschen Verbrechen im Krieg, auch in dem, was er »das Soziale« nannte, Parteipolitik glaubte er unvereinbar mit geistlichem Amt, es genügte ja auch sein Aufruf zu »ehrlichem Neubesinnen«, da war Pontij zufrieden mit einer Vorsitzenden
    – Louise Papenbrock.
    – Käthe Klupsch.
    – Über die lachte die ganze Stadt.
    – Käthe Klupsch war außerstande, über sich selbst in Gelächter auszubrechen. Vor allem gelang ihr am besten der vergebende Ton, in dem sie über Leute sprach, die der K. P. zuliefen oder der Gegenseitigen Bauernhilfe, bloß um den Siedlungsschein ein zweites Mal zu erwerben oder ein Anrecht zu gewinnen auf einen Pflug, womöglich ein Haupt Vieh aus dem Fonds der Bodenreform. Swenson, Otto Maaß, Kägebein erwiderten einander auf die Frage nach dem Ergehen: In alter Frische saust der Frack; öffentlich hörte es sich besser an, wenn Käthe Klupsch verkündete: Wir haben uns zusammengefunden nicht um eines Vorteils, sondern um der Sache willen.
    – Was immer deine Falle war, Gesine, meine hast du kaputt.
    – Meine sollte dir bloß vorführen, daß du dich gelegentlich irrst mit deiner gnadenlosen Unterdrückung durch die Sowjets.
    – Ich wollte dir beweisen, daß ich etwas einsehen kann. Daß wenigstens ein solcher Haufen zu Recht bestraft

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