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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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wird. Nun sind sie wieder dran.
    – Wie heißt eine solche doppelte Falle, Marie.
    – Das weißt du recht gut.
    – Dein Amerikanisch ist besser.
    – Double cross heißt es. Vorspiegelung vermittels Tatsachen, oder wie immer die Deutschen sagen.

    Einmal haben wir Herbert H. Hayes geglaubt, als er uns das Wetter heraussuchte für Ostern 1938. Hoffentlich beschäftigt das Wetterbüro von New York ihn nirgend als im Archiv. In der Abteilung Voraussagen müßte man bange sein um ihn. Dieser Tag war nicht wolkenlos trocken. Das Kennzeichen milde mag er verdienen, wenn auch bloß für den hinhaltenden Regen, der lange nicht aufhören konnte.
    14. Juni, 1968 Freitag
    Die tschechoslowakische Wirtschaftsdelegation ist zurück aus Moskau. Sie hat Geschenke mitgebracht. Die Sowjetunion wird ihre Lieferungen an Erdgas auf drei Milliarden Kubikmeter im Jahr erhöhen. Das Stahlwerk Košice soll jährlich zwei Millionen Tonnen Eisenerz bekommen, allerdings erst von 1972 an. Ob er wohl gebibbert hat, unser siegesgewisser Vizepräsident de Rosny? Nein, die Anleihe in harter Währung hat die Sowjetunion verweigert, so bescheiden gewünscht die Summe war, 350 Millionen Dollar, nur sieben Achtel der Schulden auf dem westlichen Markt. Um so lieber, um so eher wird de Rosny mehr beschaffen. Die Reise nach Prag, sie wird nicht vorbeigehen an uns. Marie weiß es, sie mag darüber nicht sprechen.
    Die Times, die schickliche Tante, sie macht einen Knicks. Sie entschuldigt sich. Sie hat etwas falsch gemacht. In jenem sowjetischen Gedicht auf den toten Senator von New York sollte es nicht heißen, daß Abraham Lincoln sich sonnt in seinem Marmorstuhl. Wahr soll vielmehr sein, daß der marmorne Lincoln krächzt. Marie könnte es brauchen für ihre Kennedy-Mappe. Sie will den Namen eine Weile lang nicht hören.
    – Und was willst du mir heute nicht erzählen?
    Vor Weihnachten 1945 trabte noch einmal Erwin Plath durch das nordwestliche Mecklenburg, seinen Patenbezirk, den die hannoversche S. P. D. ihm zugeteilt hatte. Für einen Gast macht man Umstände; Plath bekam seine Versammlung in Jerichow, zwanzig Minuten im Stehen im Trockenschuppen der Ziegelei, in bequemer Sichtweite der sowjetischen Kommandantur, so daß er nicht nur vor Kälte fror. Es war bitter genug, daß er einen Fehler eingestehen mußte, bevor er die neue Linie anwies; sie fuhren ihm häßlicher übers Maul, nicht einmal seine Würde als Kurier achteten sie. Gekommen waren vierzehn Männer, zwei Frauen; davon kannte er zwei als ehemals eingeschriebene Mitglieder, von zwei weiteren wollte er es glauben, für acht konnte er sich weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft in der Sozialdemokratie vorstellen, bei einem meinte er zu träumen. Der war doch 1938 in aller illegalen Form ausgeschlossen worden! Weiterhin, sie verweigerten ihm die Namen, so daß wir uns für alle begnügen dürfen mit Anfangsbuchstaben, nur W. ist zu denken als Wulff und B. als Bienmüller. P. war Plath und schrieb sich Plath und kam von der Zentrale, der wichtige Abgesandte Plath. Das gewöhnten sie ihm gleich ab. – So eine Ortsgruppensitzung: sagte P. noch neunzehn Jahre später: hab ich in meinem Leben noch nicht belebt!
    W.
Die Versammlung ist eröffnet. Es wird beschlossen: Dies ist keine Versammlung. Zur Tagesordnung wird einstimmig festgestellt: Eine Tagesordnung gibt es nicht. Die Funktion des Schriftführers wird in diesem Sinne besetzt. Ich bitte, der Wahl des Schriftführers zuzustimmen. Nu hau bloß ab.
P.
Die Partei bedauert die falsche Direktive vom August des Jahres.
S.
Haben wir hier einen Vorsitzenden? wir haben hier keinen Vorsitzenden. Das Wort erteilt nur der Vorsitzende.
H.
Du hast uns schön reingerissen, Genosse. Wenn die Sowjets jetzt einen Namen von uns kennen, danken wir es dir.
P.
Wer ist bekannt geworden?
L.
Das geht dich einen Schietdreck an.
P.
Die Partei gibt zu, daß die Eroberung von geheimen Einflußbereichen in der K. P. mißlungen ist. Es sind Genossen, die um Aufnahme in die K. P. ersuchten, zur Gründung eigener S. P. D.-Ortsgruppen aufgefordert worden. Das war falsch, da schäm ich mich gar nicht, das sag ich noch mal.
K.
Sagen Sie das noch mal, Genosse. As in de Schaul!
P.
Unter Genossen gibt es kein Sie. Wer sind Sie überhaupt?
L.
Das geht dich einen Schietdreck an.
P.
Wir müssen alle Kräfte daran setzen, mit einer starken Organisation der eigenen Partei ein Gegengewicht zu schaffen.
W.
Wir sind hier nicht in Krakow. Die Genossen Kommunisten in Krakow

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