Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
einen Dichter zitiert als Eideshelfer und Sandgrau, die Löwenfarbe New Yorks!
1968 haben wir eine Ausnahme gewählt von dem Gesetz, wonach zu warten ist auf das Nacheinander der Ereignisse, auf die künftige Geschichte, bis Menschen von dunkler Hautfarbe mit rosanen leben als Nachbarn und in Freundschaft unter einander; eine Francine haben wir herausgegriffen aus einem Wirrwar von Messerstecherei und Ambulanz und Polizei. Die kleine Person mit den weitläufigen Augen, sie kommt manchmal in faserige Morgenträume, hält den Kopf schräg und flicht ihre störrischen steifen Zöpfe, sagt spöttisch und mit Sehnsucht »Yes Ma’am – Yes, Ma’am«; legt zum Abschied ein weißes Tuch mit Spitzenrand auf ihren dunklen Blick und Kopf; die Farbe der Trauer, mag gestorben sein; ist verloren.
1968, zu Anfang unseres achten Jahrs in der Stadt, hörte ich zwei negerhäutige Herren vor mir reden an der Bushaltestelle 97. Straße, ohne sie belauschen zu wollen. Als ich endlich versuchte, vergeblich, zu unterscheiden zwischen Englisch oder Spanisch, erkannte ich den Abstand zu der Hoffnung, das fremde Gespräch je zu verstehen.
1968 kam eine vorläufig letzte Nachricht von D. E., dem gefallen hat, wie wir leben. Der Vertrag über eine Geburtstagswohnung für Marie am oberen Riverside Drive, er wird ohne Unterschrift bleiben. D. E. läßt sagen, er sei davon und dahin durch ein Flugzeug, mit tödlichem Ausgang.
Auf der Agentur für Luftfracht sind die Leute kiebig. Zwei geräumige Koffer und noch einer, eingerichtet als ein Schrank, bestimmt nach Prag, in ein kommunistisches Land, da könnte ja jeder kommen, meine Dame! Die Listen, die Lizenzen? – Wir sind kein diplomatisches Personal, mein Herr. Die Rechnung geht an eine Bank in Stadtmitte; sehen Sie auch das grün bedruckte Stück Papier unter meiner Hand? die ich gleich aufheben werde, je nach Ihrem Belieben? Wird das Frachtgut morgen abend bereit stehen auf dem Platze Ruzyně? – Zuverlässig. Weil’s für eine Dame ist wie Sie. Glück auf die Reise!
– Geben Sie etwa die Wohnung auf, Mrs. Cresspahl?
– Auf was für Einfälle Sie kommen, Mr. Robinson (Adlerauge).
– Es ist nur, ein Freund, der eine Freundin … Sie sind gesehen worden beim Besichtigen in Morningside Heights.
– Bei Besuchen, Mr. Robinson. Am Klingeln des Telefons können Sie hören, daß wir ein Lebensrecht behalten möchten am Riverside Drive.
– Verzeihen Sie, Mrs. Cresspahl. Und seien Sie versichert: in diese Wohnung bricht Niemand mehr ein!
– Wir sehen Sie ein wenig später im Jahr.
– Einverstanden. Bitte, tun Sie das, Mrs. Cresspahl.
– Hier spricht die Vermittlung.
– Wir haben kein Gespräch angemeldet.
– Sie haben in den letzten Tagen gesprochen mit Plätzen im Ausland, Berlin …
– Und einmal mit Helsinki.
– Wir fürchten, das gibt eine happige Rechnung.
– Sie wird beglichen werden. Es ist kein Anlaß, die Leitung zu sperren.
– Wir haben uns überlegt, es ist vielleicht bequemer für Sie, wenn Sie das in Raten zahlen, Mrs. Cresspahl.
– Bei einem Dienst am Kunden wie dem Ihren, wir bleiben Ihnen verbunden.
– Es ist uns ein Vergnügen, Mrs. Cresspahl.
In der Subway kommen wir zur falschen Zeit unter den Times Square. Aus den Pendelzügen vom Grand Central treiben dicke Kolonnen uns entgegen, von Bahnpolizei auf die drei Treppenbahnen geschleust. – All the way down. All the way down: Vorgesetzte, die heute sich väterlich geben. Sobald sie uns sehen, räumen sie den Mittelgang. – Make room for the lady! Make room for the child!
Im Bahnhof Grand Central die durcheinander laufenden Gehströme setzen sich zusammen aus so angepaßten, verbundenen Bewegungen, alle Leute sind aus dem Wege zwei Schritte vorher und kommen schneller voran, als wenn sie sich beeilen wollten. Aus dem PanAmerican-Anbau laufen drei Rolltreppen abwärts, reglose Stufen aus Menschen lösen beim Übergang auf die Gehebene mit einem Ruck sich ab, wie auf Eis. Die gerade Richtung schwenkt bedachtsam ab, biegt zum nächsten Ziel sich krumm, nach links und rechts zu den Vorortzügen, halblinks zur Lexington Avenue, zur Untergrundbahn Lexington, halbrechts zur Madison Avenue, den Hotels, geradeaus zur Zweiundvierzigsten, der winzigen Auskunft-Rotunde. Aus der Lexington Avenue treiben die Menschen herein auf abertausend Füßen durch die Klapptüren, schwimmen dahin unter den niedrigen vierblättrigen Gewölben, werden aufgefüllt aus den Ausgangshallen des
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