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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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amerikanischem Paß, die sich in Prag erkundigt nach dem Wilson-Bahnhof, der längst umbenannt ist in Střed. Eine Touristin mit französischem Papier, die auf dem Ostbahnhof von Berlin tschechische Kronen einzuwechseln sucht.
    Seit unser vielseitig verehrter Vizepräsident de Rosny seiner Untergebenen Cresspahl das Transferieren von ein paar Millionen in den tschechoslowakischen Staatshaushalt zutraut, hat er ihr gestanden, warum er ihr trotz der Vorstrafe Arbeit stiftete: weil sie sie zugab. Oder wegen der Natur des Vergehens.
    An einer Maschinenbuchung. Kein Wort hört man von dieser »Mitarbeiterin« mehr als nötig ist zur Höflichkeit. Angestellt und beobachtet seit 1962. 1967 für tauglich befunden.
    1962 fand uns ein Prof. Dr. Dr. D. Erichson und trug eine Ehe an, nachdem er Marie zu kennen gelernt hatte; bekam vorläufig nur den Namen D. E., weil Marie das gern mochte, den winzigen Schluckauf zwischen einem amerikanischen Laut für D und E. Di-i. Später wußte sie, sie hatte gemeint: Dear Erichson.
    1963 war ich noch von auswärts. War bereit zu Lustigkeit angesichts eines Bürohauses, zusammengesetzt aus Stahl und Glas und Beton, das trug in aufwendigem Aluminium die Inschrift und bekannte sich als: Sperrholz-Haus der Vereinigten Staaten. Wenn ich einer goldenen Schrift auf einem grünen Kastenwagen noch die Übersetzung ablesen konnte: Theatralische Umzüge – Unsere Spezialität. Als mir die Kehle noch kitzlig wurde vor Gelächter, trat ich in eine Aufzugkabine zu dreizehn Herren und sah sie ihre Hüte vom Kopf nehmen. Am Anfang eben; was ich für einen Anfang hielt.
    Fühlte mich sicher. War bei der Verwaltung der Sozialen Sicherheit gewesen. Mitten im Broadway, zwischen Restaurants und Läden, ein verblüffend seriöser Flur mit zwei Messingteilen ausgestattet. Im ersten Stock eine Fläche groß wie ein Schlagballfeld, ohne Zwischenwände. Nächst den Fahrstühlen kleine Gruppen von Wartestühlen. Dann ein Schreibtisch, der mit einem Schild unablässig fragt: Kann ich Ihnen helfen. An einem Pfeiler die Fotografie des Präsidenten, schwarz gerahmt wie die eines Verstorbenen; unten am Passepartout jene Unterschrift, die der sowjetische Ministerpräsident respektiert. An der Wand Schreibplatten, schmal wie in deutschen Postämtern. Die Karteikarte wollte den Namen wissen, den die Angestellte »benutzt«, auch den man bei der Geburt bekommen hat. Hiermit versichere ich an Eides Statt, daß ich noch nie eingekommen bin um eine social security number. Not lehrt lügen.
    Als aus Jerichow, Meckl., die altmodisch bedruckte Karte angekommen war im Herbst 1962, verbrachte ich Zeit in der Bar des Hotels Marseille. Die Damen waren alle in Tweed und versehen mit jenen Kleinigkeiten, die die Nachrichtenmagazine auf ihren privaten Seiten empfehlen, nur daß sie warteten auf die Ehemänner, die diese Sorte Dasein bezahlten, und daß mir Marie bevorstand, und daß ich selbst bezahlte. Die Herren waren zum Lächeln. Einer, die Brille auf dem Nasenknorpel, mehr mit der Zeitung beschäftigt, mit der Börsenseite als wär’s das Book of the Times, der zerstreute Gelehrte fragte nach George.
    – Den haben sie in Brooklyn gekascht.
    – Wo er doch in der Bronx wohnt.
    – Wegen Bescheidwissen über günstige Wetterschwankungen. Was ist es?
    – Das selbe. Nè, geht nicht. Was ähnliches.
    – Was ich dir gegeben habe?
    – Du bist der bessere Arzt.
    – Hier haste dein’ Ballantine. Den ganzen weiten Weg von New Jersey bis hier.
    Das nahm sich aus wie eine Erlaubnis, anderen Leuten zuzusehen beim Leben; wenn einem das eigene abhanden gekommen scheint. Wenn ein trockenhäutiger Schlaks an die Bar trat mit den Gebärden der Eile und begehrte:
    – Wo finde ich das Wasser.
    – Wenn Sie es nirgend wo finden, genau hier. Sir.
    – Geben Sie mir ein Glas Wasser.
    – Unberechnet: sagte Mr. McIntyre; gab durch privates Lippenschürzen zu verstehen, es gebe so spröd pigmentierte Kerls, zu alt um Manieren zu lernen. McIntyre, der die letzten Tropfen einer Flasche in das Glas des Gastes tat wie ein Opfer, ein Geschenk, etwas Heiliges. McIntyre, den sie neulich unverhofft auf eine Insel getan haben und gekleidet in etwas Auffälliges, damit ihm zunächst versagt ist, hinter einer Bar verborgen Geschichten zu erzählen; was nur das Bundeskriminalamt als Wissen verwalten darf.
    1963 traute D. E. sich ein erstes Mal zu einem Vorschlag: mir das Leben gefallen zu lassen, und ich tat gehorsam. Von der Geselligkeit bei McIntyre kam ich

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