Jakob der Reiche (German Edition)
aus Träumen und Legenden nähern. Und dann tauchten die ersten Häuser aus den rötlichen Nebelschleiern auf. Sie kamen ihm vor wie Zuckerwerk von der fernen Insel Zypern.
Zusammen mit einigen weiteren deutschen Kaufleuten und ihrem Gefolge erreichte er den Hafen am Ende des Dammes und den Beginn des Canal Grande. Obwohl es hieß, dass kein getaufter Mann ohne Bart ins Himmelreich eingehen könne, war Jakob Fugger als Einziger glatt rasiert. Auch seine Kleidung war nicht in den schwäbischen Farben Schwarz und Gelb gehalten. Stattdessen trug er Reitstiefel, geschlitzte Pluderhosen, das weite Wams der Venezianer und ein leichtes sandfarbenes Barett aus fein gewebtem Barchent.
»Zum Fondaco dei Tedeschi, Conte Fuccero?«, rief einer der Gondoliere und riss den Hut vom Kopf.
Jakob Fugger sah sich nach den anderen um, dann nickte er und stieg vom Pferd. Ohne zu zögern, betrat er eine der wartenden Gondeln mit Verdeck, während sich einige Mitarbeiter um sein Pferd und das Gepäck kümmerten.
Der Pulk der bunten Gondeln mit den neu eingetroffenen Kaufleuten bewegte sich auf dem noch engen Canal Grande um die erste große Biegung. Schon tauchte auf der gegenüberliegenden Kanalseite das mächtige Geviert des neuen deutschen Handelshauses an der ebenfalls neuen Rialto-Brücke auf. Doch dann ging es nicht weiter. Dutzende, wenn nicht gar Hunderte von feierlich geschmückten Gondeln versperrten dicht an dicht die Weiterfahrt.
»E’ morta … la regina della tristezza«, jammerte der Gondoliere mit klagendem Singsang. »O dio! La bellezza, die Königin der Traurigkeit ist tot.«
Im selben Augenblick sah Jakob Fugger durch den Bogen der neuen Rialto-Brücke hindurch, wie langsam vom anderen Bogen des Canal Grande her die riesige Staatsgaleere auftauchte. Trotz seiner Größe drängte sich der Bucintoro, bis an die Mastspitzen geschmückt mit prächtigen Girlanden, drei Dutzend Ruderern und dem Dogen auf dem Oberdeck, durch den Pulk aus Gondeln und mit Menschen überladenen Frachtkähnen.
Das Prunkschiff führte keine Segel. Nur ein hundert Fuß langes blutrotes Seidenbanner am Großmast blähte sich wie ein aufgeblasener Drachenschwanz mit bauschigen Bewegungen bis zu den Balkonen der Palazzi an den Seiten des Kanals.
Jakob wollte näher heran, aber ebenso wie viele andere steckte auch sein Boot fest. Kurz entschlossen gab er seinem Gondoliere ein Zeichen und stieg über die nächsten Bordwände der Gondeln hinweg. Viele der Venezianer und der Fremden in dieser Gegend am Canal Grande kannten ihn. Bis zur Hauswand des Fondaco machten sie ihm schweigend und respektvoll Platz. Erst unterhalb der Rialto-Brücke kam er nicht weiter. Er erklomm die Spitze einer Gondel, und dann sah er sie.
Für einen Augenblick beneidete er sie. Er war sich sicher, dass sie nicht den Weg in die Verdammnis, sondern ins himmlische Jerusalem eingegangen war – dem einzigen Ziel, für das der Weg durch das irdische, von Leid und Schmerz, Hass und Betrug erfüllte Jammertal sich lohnt.
Jemand erzählte neben ihm, dass die Königin der Traurigkeit, gekleidet in dem braunen Kleid der Franziskanerinnen, einen Tag lang im offenen Sarg durch Venedig getragen und dann auf einem Prunkboot ohne die übliche Überdachung durch die vielen kleineren Kanäle gefahren worden sei.
Heute, am dritten Tag nach dem Tod Caterina Cornaros, sollte ihr Leichnam in der Kirche San Apostoli beigesetzt werden. Es gab nicht eine einzige Brücke an dieser Stelle. Und nun verstand auch Jakob. In stillem Einverständnis hatten sich immer mehr Boote im Canal Grande nebeneinandergelegt und bildeten einen schwimmenden Steg. Menschen hielten sich aneinander fest, und dann schritten die Musikanten, die Sargträger und der Patriarch mit der gesamten Geistlichkeit über diese ungewöhnliche, im Gleichtakt schwankende Schiffsbrücke.
Auf dem goldenen Bucintoro erhob sich der Doge Leonardo Loredan in seiner prächtigen Gewandung und nahm seine hornartige Mütze ab. Zum ersten Mal in der Geschichte der goldenen Staatsgaleere stand ein Staatsoberhaupt der Republik von San Marco barhäuptig an Bord des Bucintoro, statt sich auf dem Thron sitzend huldigen zu lassen.
Auch Jakob Fugger nahm das Barett ab. Mehr noch als viele andere, die an diesem Tag um eine Kaufmannstochter der Lagune und spätere Königin der Zuckerinsel Zypern trauerten, empfand er, dass etwas zu Ende war. An diesem Tag, dem 12. Juli anno 1510, wurde mit der Dahingegangenen auch ein Traum zu Grabe getragen.
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