James Bond 02 - Leben und sterben lassen (German Edition)
Dolch hatte er dabei in einen Spalt in der Felswand gesteckt. Nun zog er ihn wieder heraus, schnitt das Seil ab und ging wieder dorthin zurück, wo Solitaire stand.
Bond blieb auf dem Steinboden sitzen. Seine Beine hatte er vor sich ausgestreckt, seine Arme waren hinter und über ihm festgemacht. Aus seiner erneut aufgerissenen Wunde tropfte Blut. Nur die Reste des Benzedrins in seinem Kreislauf bewahrten ihn davor, ohnmächtig zu werden.
Schräg gegenüber wurde Solitaire festgebunden. Ihre Füße waren etwa einen Meter voneinander entfernt.
Als das erledigt war, warf Mr Big einen Blick auf seine Uhr.
»Verschwinde«, sagte er zu der Wache. Er schloss die Eisentür hinter dem Mann und lehnte sich dagegen.
Bond und das Mädchen sahen einander an, und Mr Big blickte auf sie beide herab.
Nach langem Schweigen wandte er sich an Bond. Dieser sah zu ihm auf. Der große graue Fußball von einem Kopf wirkte unter der Sturmlaterne wie eine Urgewalt und hing wie ein bösartiger Geist aus dem Zentrum der Erde in der Luft. Die goldenen Augen funkelten beständig, und der große Körper lag im Schatten. Bond musste sich in Erinnerung rufen, dass er das Herz dieses Wesens in seiner Brust hatte schlagen hören, es atmen gehört und den Schweiß auf der grauen Haut gesehen hatte. Es war nur ein Mann, der gleichen Spezies zugehörig wie er selbst, ein großer Mann mit einem brillanten Verstand, aber dennoch nur ein Mann, der herumlief und seine Notdurft verrichtete, ein sterblicher Mann mit einem kranken Herzen.
Der breite Mund öffnete sich, und die wulstigen Lippen zogen sich von den großen weißen Zähnen zurück.
»Sie sind von denen, die man gegen mich ausgeschickt hat, der Beste«, sagte Mr Big. Seine Stimme klang nachdenklich und wohlüberlegt. »Und Sie haben den Tod vier meiner Assistenten zu verantworten. Meine Anhänger finden das unglaublich. Es war schon längst an der Zeit, mit Ihnen abzurechnen. Was mit dem Amerikaner geschehen ist, war nicht ausreichend. Der Verrat dieses Mädchens«, er blickte weiter zu Bond, »das ich aus der Gosse geholt habe und zu meiner rechten Hand machen wollte, hat meine Unfehlbarkeit ebenfalls infrage gestellt. Ich habe gerade darüber nachgedacht, wie sie sterben soll, als die Vorsehung, oder Baron Samedi, wie meine Anhänger glauben werden, Sie ebenfalls zum Altar brachte, den Kopf bereits für die Axt gebeugt.«
Der Mund hielt mit geöffneten Lippen inne. Bond sah, wie die Zähne zusammenkamen, um das nächste Wort zu formen.
»Es ist also äußerst praktisch, Sie beide zusammen sterben zu lassen. Und das wird, auf angemessene Weise, in«, Mr Big sah auf seine Uhr, »zweieinhalb Stunden passieren. Um sechs Uhr, plus/minus ein paar Minuten.«
»Sagen wir plus«, erwiderte Bond. »Ich lebe gern.«
»In der Geschichte der Negeremanzipation«, fuhr Mr Big in lockerem Plauderton fort, »gab es bereits große Athleten und Musiker, große Schriftsteller, Ärzte und Forscher. Zu gegebener Zeit werden sich Schwarze, wie in der Entwicklungsgeschichte anderer Rassen, in jeder anderen Sparte ebenfalls hervortun.« Er machte eine Pause. »Sie und das Mädchen hatten das Pech, an den ersten großen Negerverbrecher zu geraten. Ich benutze dieses vulgäre Wort, Mister Bond, weil es das ist, das Sie, als eine Art Polizist, selbst benutzen würden. Aber ich bevorzuge es, mich als jemanden zu betrachten, der über die Fähigkeit und das mentale und nervliche Rüstzeug verfügt, sich seine eigenen Gesetze zu schaffen und danach zu handeln, anstatt die Gesetze zu befolgen, die auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der Leute zugeschnitten sind. Sie haben zweifellos Trotters Buch
Die Herdeninstinkte in Kriegs- und Friedenszeiten
gelesen, Mister Bond. Nun, ich bin von Natur aus ein Wolf und lebe nach den Gesetzen eines Wolfs. Natürlich bezeichnen die Schafe eine solche Person als ‚Verbrecher‘.
Die Tatsache, Mister Bond«, fuhr der große Mann nach einer Pause fort, »dass ich überlebe und unbegrenzten Erfolg habe, auch wenn ich mich allein Millionen von Schafen gegenübersehe, ist den modernen Methoden zuzuschreiben, die ich Ihnen während unseres letzten Gesprächs geschildert habe, sowie einer unendlichen Bereitschaft, Mühen auf mich zu nehmen. Keine gewöhnlichen, dumpfen, sondern künstlerische, raffinierte Mühen. Und ich habe gemerkt, Mister Bond, dass es nicht besonders schwierig ist, Schafe zu überlisten, ganz egal, wie viele es davon geben mag, wenn man sich der Aufgabe mit Leib
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