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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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Allein schon der Name versetzt mich in Erregung! Wie lange ist es her, dass Sie dort waren?»
    « Zwei Monate.»
    « Sie Glücklicher! Erzählen Sie mir davon. Was taten die Leute? Ach, was gäbe ich für eine Stunde auf dem Boulevard!»
    « Sie taten das, was sie meist tun – sie amüsierten sich ausgiebig.»
    « In den Theatern, was? », sagte die Gräfin seufzend.
« In den cafés-concerts 13 – an den Tischchen vor den Türen? Quelle existence! 14 Wissen Sie, Monsieur, ich bin eine Pariserin», fügte sie hinzu,« eine Pariserin bis in die Fingerspitzen.»
    « Dann muss Miss Spencer sich geirrt haben», wagte ich zu entgegnen,«als sie mir sagte, Sie stammten aus der Provence.»
    Sie starrte mich einen Moment lang an, dann steckte sie die Nase in ihre Stickerei, die schlampig und schmuddelig wirkte.«Ah, ich bin in der Provence geboren, aber in meinem Herzen bin ich Pariserin.»
    « Und wohl eine mit recht viel Erfahrung?», sagte ich.
    Sie musterte mich einen Augenblick fragend mit ihren kalten kleinen Augen.«Ach, Erfahrung! Ich könnte viel über Erfahrung sagen, wenn ich wollte. Ich hätte zum Beispiel nie erwartet, dass das Schicksal diese Erfahrung für mich bereithält.»Bei diesen Worten deutete sie mit ihrem entblößten Ellbogen und einer ruckartigen Kopfbewegung auf alles um sie herum – auf das kleine weiße Haus, den Quittenbaum, den wackeligen Zaun, ja sogar auf Mr Mixter.
    « Sie sind im Exil!», sagte ich lächelnd.
    « Sie können sich vielleicht vorstellen, wie das ist! In diesen zwei Jahren, seit ich hier bin, habe
ich Stunden verbracht – Stunden! Man gewöhnt sich an alles, und manchmal denke ich, ich habe mich an das hier gewöhnt. Aber es gibt ein paar Dinge, da fängt immer wieder alles von vorn an. Mein Kaffee, zum Beispiel.»
    « Trinken Sie immer um diese Zeit Kaffee?», fragte ich.
    Sie warf den Kopf zurück und sah mich abschätzend an.
    « Wann sollte ich ihn Ihrer Meinung nach trinken? Nach dem Frühstück muss ich einfach mein Tässchen haben.»
    « Ach, Sie frühstücken um diese Zeit?»
    « Mittags – comme cela se fait . 15 Hier frühstücken sie um Viertel nach sieben! Dieses ‹Viertel nach› ist entzückend!»
    « Sie wollten mir doch gerade erzählen, was es mit Ihrem Kaffee auf sich hat», bemerkte ich teilnehmend.
    « Meine cousine hält nichts davon; sie kann es nicht verstehen. Sie ist ein wunderbares Mädchen, aber dieses Tässchen schwarzen Kaffee mit einem Tropfen Cognac, serviert um diese Zeit – das geht einfach über ihren Horizont. Also muss ich sie jeden Tag aufs Neue überreden, und es dauert immer so lange, wie Sie es jetzt erleben, bis er endlich kommt. Und wenn
er dann kommt, Monsieur! Wenn ich Ihnen keinen anbiete, dürfen Sie mir das nicht übelnehmen. Ich tue es nur, weil ich weiß, dass Sie auf dem Boulevard Kaffee getrunken haben.»
    Diese abschätzigen Bemerkungen über die schlichte Gastfreundschaft der armen Caroline Spencer erbosten mich außerordentlich, doch sagte ich nichts, um nicht unhöflich zu werden. Ich schaute nur zu Mr Mixter, der, die Arme um die Knie geschlungen, ernst und gebannt die demonstrativ hervorgekehrten Reize meines Gegenübers betrachtete. Sie merkte sofort, dass ich ihn beobachtete, und sah mich mit einem widerwärtig anmaßenden, Verständnis heischenden Lächeln an.«Wissen Sie, er betet mich an», murmelte sie, während sie die Nase wieder in ihre Stickerei steckte. Ich brachte zum Ausdruck, dass ich das unbesehen glaubte, und sie fuhr fort:«Er träumt davon, mein Liebhaber zu werden! Ja, das ist sein Traum. Er hat einen französischen Roman gelesen; sechs Monate hat er dazu gebraucht, aber seitdem sieht er in sich den Helden und in mir die Heldin!»
    Mr Mixter hatte ganz offenkundig keine Ahnung, dass wir über ihn sprachen, er war zu sehr in seine schwärmerische Betrachtung versunken. In diesem Augenblick kam Caroline
Spencer mit einer Kaffeekanne auf einem kleinen Tablett aus dem Haus. Mir fiel auf, dass sie mir auf ihrem Weg von der Tür zum Tisch einen raschen, gleichsam flehenden Blick zuwarf. Ich fragte mich, was er bedeutete; ich spürte, dass er ein beklommenes Verlangen ausdrückte, zu erfahren, was ich als Mann von Welt, der in Frankreich gewesen war, von der Gräfin hielte. Das brachte mich in eine äußerst unangenehme Lage. Ich konnte ihr schlecht sagen, dass die Gräfin sehr wahrscheinlich die durchgebrannte Frau eines kleinen unbedeutenden Friseurs war. Vielmehr bemühte ich mich nun plötzlich,

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