James, Henry
Beredsamkeit aufbieten. Ich möchte, dass Sie verstehen, warum ich Sie nicht für gesellig halte. Sie nennen Mr Johnson eingebildet; aber, ganz im Ernst, ich glaube nicht, dass er auch nur halb so eingebildet ist wie Sie. Sie sind zu eingebildet, um gesellig zu sein; das ist er nicht. Ich bin eine unbedeutende, einfältige Frau – einfältig, Sie wissen schon, im Vergleich zu Männern. Mich kann man gönnerhaft behandeln – ja, das ist das richtige Wort. Wären Sie ebenso liebenswürdig zu jemandem, der genauso stark, genauso scharfsichtig ist wie Sie, zu jemandem, dem es genauso widerstrebt wie Ihnen, einem anderen
Menschen verpflichtet zu sein? Ich glaube nicht. Natürlich ist es ergötzlich, Leute durch Charme für sich einzunehmen. Wer würde das nicht gern tun? Und es schadet ja auch nicht, solange jemand seinen Charme nicht einsetzt, um daraus Gewinn zu schlagen. Wäre ich ein Mann, ein kluger Mann wie Sie, der die Welt gesehen hat, der sich nicht betören und bereden ließe, sondern überzeugt und widerlegt werden müsste, wären Sie dann ebenso liebenswürdig? Es mag Ihnen vielleicht absurd vorkommen, und es wird Ihnen zweifellos selbstgefällig erscheinen, aber ich halte mich für gesellig, obwohl ich nur zwei Freunde habe – meinen Vater und die Schuldirektorin. Das heißt, mit Frauen pflege ich ganz unbefangen Umgang. Nicht, dass ich das von Ihnen verlangte; ganz im Gegenteil, falls das Gegenteil Ihrem Wesen entspricht. Aber ich glaube auch nicht, dass Sie auf dieselbe Weise mit Männern Umgang pflegen. Sie mögen mich fragen, was ich darüber weiß. Natürlich weiß ich nichts, ich rate nur. Und wenn ich fertig bin, habe ich vor, mich bei Ihnen für alles, was ich gesagt habe, zu entschuldigen; doch bis es so weit ist, geben Sie mir bitte eine Chance. Sie sind außerstande, dummen, selbstgerechten Leuten ehrerbietig zuzuhören. Ich nicht. Ich tue
es jeden Tag. Ach, Sie haben ja keine Vorstellung davon, welch ausgesuchter Höflichkeit ich mich bei der Ausübung meines Berufes befleißige! Jeden Tag habe ich Anlass, meinen Stolz zu überwinden und meinen ausgeprägten Sinn für das Lächerliche zu unterdrücken – der mir, Ihrer Meinung nach, natürlich völlig abgeht. Für mich ist es zum Beispiel ein ständiges Ärgernis, arm zu sein. Es lässt mich reiche Frauen oft hassen und arme verachten. Ich weiß nicht, ob Sie unter der Beschränktheit Ihrer finanziellen Mittel sehr leiden; doch wenn Sie es tun, gehen Sie reichen Männern vermutlich aus dem Weg. Ich tue das nicht. Ich gehe gern in die Häuser reicher Leute und bin gern höflich zu den Damen des Hauses, vor allem wenn sie sehr gut gekleidet, unwissend und vulgär sind. In dieser Hinsicht sind alle Frauen wie ich und alle Männer mehr oder weniger wie Sie. Das ist es, was ich letztlich predige. Mir schien schon immer, dass ihr, im Vergleich zu uns, ausgesprochene Feiglinge seid – dass nur wir tapfer sind. Um gesellig zu sein, braucht man eine Menge Mut. Sie sind ein zu feiner Herr. Unterrichten Sie an einer Schule oder eröffnen Sie an der Ecke einen Lebensmittelladen oder sitzen Sie den ganzen Tag in einer Anwaltskanzlei und warten auf Klienten – dann werden
Sie gesellig sein. Bis jetzt sind sie nur freundlich. Es ist Ihre eigene Schuld, wenn die Leute sich nichts aus Ihnen machen. Sie machen sich ja auch nichts aus ihnen. Dass Sie nichts auf ihren Beifall geben, ist ja schön und gut; aber Sie machen sich auch nichts aus ihrer Gleichgültigkeit. Sie sind liebenswürdig, Sie sind sehr zuvorkommend, und Sie sind sehr faul. Sie halten das für Arbeit, was Sie jetzt tun, nicht wahr? Es gibt viele Menschen, die das nicht als Arbeit bezeichnen würden.»
Jetzt war es fraglos an mir, die Arme zu verschränken.
« Und nun», fügte meine Gefährtin hinzu, als ich es tat,«entschuldige ich mich bei Ihnen.»
« Darauf zu warten hat sich fraglos gelohnt», sagte ich.«Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Mir ist ganz schwindlig. Ich weiß nicht, ob Sie mich angegriffen oder gelobt haben. Sie raten mir also, an der Ecke einen Lebensmittelladen aufzumachen?»
« Ich rate Ihnen, etwas zu tun, was Sie etwas weniger sarkastisch werden lässt. Sie sollten, zum Beispiel, heiraten.»
« Je ne demande pas mieux . 15 Wollen Sie mich haben? Ich kann es mir nicht leisten.»
« Heiraten Sie eine reiche Frau.»
Ich schüttelte den Kopf.
« Warum nicht?», fragte Miss Blunt.«Weil man Sie dann bezichtigen würde, nur aufs Geld aus zu sein? Und
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