James, Henry
Stündchen am Ende einer beschwerlichen Nacht», sagte ich,«als Sie sich einer tugendhaften Aurora gleich hereingestohlen und die dunklen Schatten aus meinem Kopf vertrieben haben. An jenem Morgen, wissen Sie, begann meine Genesung.»
« Das war in der Tat ein sehr knappes Stündchen», sagte Miss Blunt.«Es waren ungefähr zehn Minuten.»Und dann begann sie mich zu tadeln, weil ich es gewagt hatte, während meiner Rekonvaleszenz zu einer Schreibfeder zu greifen. Ja, sie lacht mich aus, weil ich überhaupt ein Tagebuch führe.«Von allen Dingen, die es gibt auf der Welt», rief sie,«ist ein sentimentaler Mann das allerverachtenswerteste.»
Ich gebe zu, ich war ein wenig pikiert. Der Hieb schien unverdient.
« Von allen Dingen, die es gibt auf der Welt», entgegnete ich,«ist eine Frau ohne Sentiment das allerunliebenswürdigste.»
« Sentiment und Liebenswürdigkeit sind ja gut und schön, wenn man Zeit dafür hat», sagte Miss Blunt.«Ich habe sie nicht. Ich bin dafür nicht reich genug. Guten Morgen.»
Spräche ich von einer anderen Frau, würde ich sagen, sie stolzierte aus dem Raum. Doch genau so war einst Juno über die Wiese geschritten, als sie sich, ihr göttliches Gewand raffend, steifen Schrittes von der Stelle entfernte, wo Venus, den Apfel in der Hand, mit Paris stand, und die anderen rätseln ließ, was für ein Gesicht sie machte…
Juno ist gerade zurückgekommen, um zu sagen,
dass sie, als sie vor einer halben Stunde da war, vergessen habe zu fragen, was ich gern zum Mittagessen hätte.
« Ich habe eben in mein Tagebuch geschrieben, Sie seien aus dem Raum stolziert», sagte ich.
« So, haben Sie das? Jetzt können Sie schreiben, dass ich hereingestürmt bin. Unten gibt es ein köstliches kaltes Hühnchen», usw. usw.
14. August. – Heute Nachmittag habe ich nach einem leichten Wagen geschickt und Miss Blunt zu einer Spazierfahrt eingeladen. Wir sind nacheinander über alle drei Strände gefahren. Welch ein Erlebnis der Rückweg war! Ich werde den harten Trab über Weston’s Beach nie vergessen. Es war Ebbe, und wir hatten den ganzen weiten, glitzernden Strand für uns allein. Gestern wehte ein starker Wind, der sich noch nicht ganz gelegt und das Meer zu eindrucksvollen Wellen aufgepeitscht hatte. Trapp, trapp, trapp, trapp, fuhren wir über den harten Sand. Das Geräusch der Pferdehufe hob sich deutlich gegen das monotone Donnern der Brandung ab, als wir der langen Wand der Klippen immer näher kamen. Zu unserer Linken hing, wenn man so sagen kann, beinahe über die ganze Distanz vom erhabenen Zenit des blassen Abendhimmels
bis zum äußersten westlichen Horizont der aufgewühlten dunkelgrünen See einer dieser prachtvollen langgezogenen Sonnenuntergänge, wie Turner 20 sie so sehr liebte. Es war eine großartige Mischung aus Purpur, Grün und Gold, die Wolken flogen und flatterten im Wind wie die Falten eines riesigen Banners, mitgeführt von einer siegreichen Flotte, deren Buge hinter der langen Reihe haushoher Wellen unsichtbar blieben. Als wir die Stelle erreichten, wo die Klippen steil zum Strand abfallen, hielt ich an, und eine Weile lang blickten wir auf die flache, braune, hartnäckige Barriere, an deren Fuß sich die ungestümen Wasser im feinen Sand verlaufen.
17. August. – Als ich heute Abend die Kerze anzündete, um in mein Schlafzimmer hinaufzugehen, merkte ich, dass der Kapitän mir etwas zu sagen hatte.
Also wartete ich unten, bis der alte Mann und seine Tochter ihre übliche pittoreske Umarmung vollführt hatten und Letztere mir jenen Händedruck und jenes Lächeln geschenkt hatte, die einzufordern ich nie versäumte.
« Johnson hat den Laufpass bekommen», sagte der alte Mann, als er hörte, wie seine Tochter oben die Tür zu ihrem Zimmer schloss.
« Was meinen Sie damit?»
Er wies mit dem Daumen nach oben, wo wir, durch die dünne Decke, Miss Blunt mit leichtem Schritt hin und her gehen hörten.
« Sie meinen, er hat Miss Esther einen Antrag gemacht?»
Der Kapitän nickte.
« Und wurde abgewiesen?»
« Rundweg.»
« Armer Kerl!», sagte ich und meinte es aufrichtig.« Hat er es Ihnen selbst erzählt?»
« Ja, mit Tränen in den Augen. Er wollte, dass ich ein gutes Wort für ihn einlege. Aber ich sagte ihm, das sei zwecklos. Daraufhin begann er, üble Dinge über mein armes Mädchen zu behaupten. »
« Was für Dinge?»
« Einen Haufen Lügen. Er sagt, sie habe kein Herz. Sie hat versprochen, ihn immer als Freund zu betrachten: Das ist mehr, als ich
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