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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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ich sie an, verwundert hörte ich ihr zu. Es hatte tatsächlich den Anschein, als sei die arme Frau von dem«märchenhaften»Umstand, eine verstoßene provenzalische Gräfin zur Kusine zu haben, so angetan, dass ihr darüber gar nicht richtig bewusst wurde, was der Verlust des Geldes für sie bedeutete.
    « Meine liebe junge Dame», sagte ich,«Sie werden doch eines romantischen Gefühls wegen Ihre Pläne nicht aufgeben wollen?»

    « Ich werde sie nicht aufgeben. Ich werde in nicht allzu ferner Zukunft zurückkommen, um meinen Vetter und seine Frau zu besuchen. Die Gräfin besteht darauf.»
    « Zurückkommen! Sie fahren also nach Hause? »
    Sie saß einen Moment mit gesenktem Blick da, dann sagte sie, ein leichtes Zittern in ihrer Stimme heldenhaft unterdrückend:«Ich habe kein Geld mehr, um zu reisen!»
    « Sie haben ihm alles gegeben?»
    « Ich habe so viel behalten, dass es noch für die Rückreise reicht.»
    Ich stöhnte wütend auf, und in diesem Augenblick kam Miss Spencers Vetter, der glückliche Besitzer ihrer geheiligten Ersparnisse und der Hand der provenzalischen Gräfin, aus dem kleinen Speisesaal. Er blieb einen Moment auf der Schwelle stehen und entfernte den Stein aus einer fleischigen Aprikose, die er vom Tisch mitgenommen hatte; dann steckte er die Aprikose in den Mund, und während er sie genussvoll dort behielt, schaute er, die langen Beine gespreizt und die Hände in den Taschen seines Samtjacketts, zu uns herüber.
    Meine Gefährtin stand auf und warf ihm einen flüchtigen Blick zu, den ich auffing und aus
dem eine sonderbare Mischung von Resignation und Faszination sprach – eine Art bizarrer Euphorie. So hässlich, vulgär, anmaßend und unehrlich dieser Mensch in meinen Augen auch war, hatte er doch mit Erfolg an ihre lebhafte, empfängliche Phantasie appelliert. Ich war zutiefst angewidert, aber ich hatte kein Recht, mich einzumischen, zumal ich spürte, dass es vergebens sein würde.
    Der junge Mann vollführte mit der Hand eine malerische Geste.«Hübscher alter Hof», bemerkte er.«Hübsches, anheimelndes altes Haus. Schöner Farbton in diesem Backstein. Hübsche schiefe alte Treppe.»
    Es war entschieden unerträglich. Ohne etwas zu erwidern, gab ich Caroline Spencer die Hand. Sie sah mich einen Augenblick mit ihrem kleinen weißen Gesicht und weit geöffneten Augen an, und da sie ihre schönen Zähne sehen ließ, nahm ich an, sie bemühte sich zu lächeln.
    « Sie brauchen mich nicht zu bedauern», sagte sie,«ich bin sicher, ich werde irgendwann noch etwas von diesem teuren alten Europa sehen.»
    Ich erklärte, ich wollte ihr noch nicht Lebewohl sagen – ich würde sicher am nächsten Morgen einen Augenblick Zeit finden, um noch einmal vorbeizukommen. Ihr Vetter, der seinen
Hut inzwischen wieder aufgesetzt hatte, nahm ihn erneut schwungvoll ab und schwenkte ihn mit einer Verbeugung in meine Richtung – worauf ich mich entfernte.
    Am nächsten Morgen ging ich noch einmal in das Gasthaus, wo ich im Hof auf die Wirtin traf, die nun weniger sorgfältig geschnürt war als am Abend zuvor. Auf meine Frage nach Miss Spencer antwortete sie:« Partie , 8 Monsieur. Sie ist gestern Abend um zehn Uhr fort, mit ihrem … ihrem… nicht ihrem Mann, eh? … nun ja, mit ihrem Monsieur . Sie gingen zum amerikanischen Schiff hinunter.»Ich wandte mich zum Gehen; das arme Mädchen war gerade einmal dreizehn Stunden in Europa gewesen.

IV
    Ich selbst hatte mehr Glück und blieb noch gut fünf Jahre länger dort. Während dieser Zeit verlor ich meinen Freund Latouche, der auf einer Reise durch die Levante am Sumpffieber starb. Nach meiner Rückkehr führte mich einer meiner ersten Wege nach Grimwinter, um seiner armen Mutter einen Kondolenzbesuch abzustatten. Ich traf sie tief betrübt an und saß den
ganzen Vormittag nach meiner Ankunft (ich war spät in der Nacht eingetroffen) mit ihr zusammen, hörte ihren tränenreichen Auslassungen zu und sang Lobeshymnen auf meinen Freund. Wir sprachen über nichts anderes, und unsere Unterhaltung endete erst mit der Ankunft einer lebhaften kleinen Frau, die in einem von ihr selbst gelenkten leichten vierrädrigen Einspänner vorfuhr und die ich dabei beobachtete, wie sie die Zügel mit dem gleichen Schwung auf den Rücken des Pferdes warf, mit dem jemand, der aus dem Schlaf auffährt, die Bettdecke zurückschlägt. Sie sprang aus dem Wagen, und sie stürmte ins Zimmer. Sie war, wie sich herausstellte, die Frau des Pfarrers und die größte Klatschbase der Stadt,

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