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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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und zeigte auf etwas.«Sehr hübsch, das da», sagte er leise. Er hatte den Kopf auf die Seite gelegt, seine kleinen Augen waren halb geschlossen. Ich schaute in die Richtung, in die der Stock wies; er zeigte auf ein rotes Tuch, das aus einem alten Fenster hing.«Hübsche Farbe», fuhr er fort und richtete, ohne den Kopf zu bewegen, seine halb geschlossenen Augen auf mich.«Passt gut
zusammen», fügte er hinzu.«Macht sich ausgezeichnet. »Er sprach mit einer schroff klingenden, vulgären Stimme.
    « Ich sehe, Sie haben einen geschulten Blick», erwiderte ich.«Ihre Kusine erzählte mir, Sie studierten Kunst.»Ohne zu antworten, schaute er mich weiter unverwandt an, und ich fuhr, betont weltmännisch, fort:«Ich nehme an, Sie arbeiten im Atelier eines jener berühmten Männer.»
    Er schaute mich noch immer an, dann sagte er leise:«Gérôme.»
    « Gefällt es Ihnen?», fragte ich.
    « Verstehen Sie Französisch?», sagte er.
    « Etwas», antwortete ich.
    Er hielt seine kleinen Augen weiter auf mich gerichtet; dann sagte er: «J’adore la peinture! » 5
    « Oh, das verstehe ich!», erwiderte ich. Vor Freude und Aufregung ein wenig zitternd, legte Miss Spencer ihre Hand auf den Arm ihres Vetters; sie genoss es, unter Menschen zu sein, die in fremden Sprachen so zu Hause waren. Ich stand auf, um mich zu verabschieden, und fragte Miss Spencer, wo ich ihr in Paris meine Aufwartung machen dürfe. In welchem Hotel würde sie absteigen?
    Sie wandte sich fragend an ihren Vetter, und dieser beehrte mich erneut mit seinem schlaffen,
gelangweilten Grinsen.«Kennen Sie das ‹Hôtel des Princes›?»
    « Ich weiß, wo es ist.»
    « Ich werde sie dort unterbringen.»
    « Ich gratuliere Ihnen», sagte ich zu Caroline Spencer.«Ich glaube, es ist das beste Hotel auf der ganzen Welt; und wo finde ich Sie, falls ich hier noch einen Augenblick Zeit habe, Sie zu besuchen?»
    « Ach, es ist ein so hübscher Name», sagte Miss Spencer fröhlich.«‹À la Belle Normande›.» 6
    Als ich sie verließ, schwenkte ihr Vetter schwungvoll seinen pittoresken Hut.

III
    Meine Schwester war, wie sich herausstellte, noch nicht so weit wiederhergestellt, dass wir Havre mit dem Nachmittagszug hätten verlassen können, und so hatte ich freie Hand, mich bei Einbruch der herbstlichen Abenddämmerung im«Gasthaus zur schönen Normannin»einzufinden. Ich muss zugeben, dass ich mich in der Zwischenzeit unzählige Male gefragt hatte, worin wohl das Unangenehme bestanden haben mochte, das der unsympathische Vetter meiner
bezaubernden Freundin dieser erzählt hatte. Die« Belle Normande»war ein bescheidenes Gasthaus in einer Seitenstraße von etwas zwielichtigem Charakter, wo, wie ich mir mit Genugtuung sagte, Miss Spencer auf Lokalkolorit in Hülle und Fülle gestoßen sein musste. Es gab einen kleinen, von schiefen Gebäuden umschlossenen Innenhof, in dem sich ein Großteil der Gastlichkeit abspielte; es gab eine Treppe, die außen am Haus zu den Schlafzimmern hinaufführte; es gab einen kleinen, vor sich hin tröpfelnden Brunnen mit einer Gipsstatue in der Mitte; es gab einen kleinen Jungen in weißer Mütze und Schürze, der an einer Tür, die unübersehbar in die Küche führte, Kupfertöpfe reinigte; es gab eine schwatzende Wirtin, ordentlich geschnürt, die auf einem rosenroten Teller Aprikosen und Trauben zu einer kunstvollen Pyramide aufschichtete. Ich sah mich um, und auf einer grünen Bank vor einer offenen Tür mit dem Schild « Salle à manger » 7 entdeckte ich Caroline Spencer. Kaum hatte ich sie erblickt, da wusste ich auch schon, dass seit dem Vormittag etwas geschehen war. Sie saß zurückgelehnt auf ihrer Bank, die Hände im Schoß gefaltet, den Blick auf die Wirtin geheftet, die auf der anderen Seite des Hofes mit ihren Aprikosen beschäftigt war.

    Aber ich sah, dass sie nicht an Aprikosen dachte. Sie starrte, in Gedanken versunken, geistesabwesend vor sich hin; als ich zu ihr trat, fiel mir auf, dass sie geweint hatte. Ich setzte mich neben sie auf die Bank, ohne dass sie mich wahrnahm; dann, nachdem sie mich bemerkt hatte, wandte sie sich, ohne die geringste Überraschung erkennen zu lassen, einfach zu mir um und ließ ihren traurigen Blick auf mir ruhen. Zweifellos war etwas sehr Schlimmes geschehen; sie war völlig verändert.
    Ich sprach sie sogleich darauf an.«Ihr Vetter hat Ihnen schlechte Nachrichten gebracht; Sie sind zutiefst bekümmert.»
    Einen Augenblick lang sagte sie nichts, und ich vermutete, sie wolle nicht sprechen,

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