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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Küche fast unbenutzt. Auf der Anrichte standen ein Wasserkessel und ein Päckchen Teebeutel. Eine einzelne ausgespülte Tasse lag umgedreht auf dem Abtropfbrett. Sonst deutete nichts auf die Einzelheiten eines Alltagslebens hin. Keine Teller stapelten sich im Ausguss, keine Briefe lagen auf der Anrichte oder auf dem Kühlschrank, nichts ließ erkennen, dass sich hier menschliches Leben abgespielt hatte. Maria Klee zeigte auf die geöffnete Tür eines Wandschranks. Fabel steckte den Kopf hinein und sah, dass man ein Stück der Wand entfernt und eine Glasscheibe eingesetzt hatte, die einen unverstellten Blick auf das Zimmer dahinter gestattete. Er schaute auf das blutgetränkte Bett.
    »Einweg?«, fragte Fabel.
    »Ja. Die andere Seite ist der Standspiegel. Guck dir das an.« Sie zwängte sich an Fabel vorbei, steckte ihre von Latex umhüllte Hand in den Schrank und zog ein Elektrokabel hervor. »Hier dürfte eine Videokamera gewesen sein.«
    »Unser Mann ist also vielleicht auf Video aufgenommen worden?«
    »Bloß, dass nichts mehr da ist«, sagte Maria. »Vielleicht hat er die Kamera gefunden und mitgenommen.«
    »Okay. Sieh zu, dass die Techniker alles unter die Lupe nehmen.«
    Fabel wollte die Küche verlassen, doch Maria hielt ihn zurück.
    »Ich erinnere mich, dass meine Klasse, als ich noch zur Schule ging, einen Ausflug zu den NDR-Fernsehstudios gemacht hat. Man zeigte uns ein Set für irgendeine Serie wie ›Großstadtrevier‹. Das Zimmer sah vollkommen echt aus - bis man näher heranging. Dann merkte man, dass der Himmel vor den Fenstern aufgemalt war und dass sich die Schranktüren nicht öffnen ließen.«
    »Worauf willst du hinaus, Maria?«
    »Hier gibt es alles, was man in der Wohnung eines Callgirls erwarten würde. Aber sie wirkt wie die Idee eines Bühnenbildners, der sich vorstellt, wie so eine Wohnung aussehen sollte. Man hat den Eindruck, dass hier niemand je wirklich gewohnt hat.«
    »Vielleicht hat hier ja tatsächlich niemand gewohnt. Es könnte einfach ein ›Geschäftsbereich‹ für mehrere Mädchen gewesen sein.«
    »Ich weiß. Aber irgendwas stimmt einfach nicht. Verstehst du, was ich meine?«
    Fabel atmete tief ein und wartete eine Weile, bevor er ausatmete.
    »Ich verstehe ganz genau, was du meinst, Maria.« Er kehrte ins Wohn- und Schlafzimmer zurück. Der Tatortfotograf machte gerade detaillierte Aufnahmen von der Leiche. Er hatte eine Lampe an einem Stativ angebracht, und das grelle Licht konzentrierte sich auf das Opfer. 
    Dadurch trat das im Zimmer verspritzte Blut noch stärker hervor, und der Eindruck explosiver Gewalt steigerte sich. Der junge uniformierte Polizist stand jetzt in der Tür und starrte auf die Leiche. Fabel stellte sich zwischen ihn und das Bett.     
    »Wie heißen Sie, Junge?«
    »Beller, Herr Hauptkommissar. Uwe Beller.«
    »Gut, Herr Beller. Haben Sie mit einem der Nachbarn gesprochen?«
    Bellers Blick war wieder über Fabels Schulter zu den Gräueln im Innern des Raumes geglitten. Mühsam riss er sich zusammen. »Was? O ... ja. Entschuldigung. Ja, das habe ich. Im Parterre wohnt ein Ehepaar und direkt unter uns eine alte Dame. Sie haben nichts gehört. Aber die alte Frau ist praktisch taub.«
    »Kennen Sie den Namen des Opfers?«
    »Nein. Alle sagen, dass sie sie fast nie zu Gesicht bekamen. Früher wohnte hier eine andere alte Frau, die vor ungefähr einem Jahr gestorben ist. Die Räume standen etwa drei Monate lang leer und wurden dann neu vermietet.«
    »Haben sie heute Abend jemanden kommen oder gehen sehen?«
    »Nein. Nur den Mann, der um halb drei eintraf und der uns angerufen hat. Das Ehepaar im Parterre wurde dadurch geweckt, dass die Haustür zuschlug. Sie hat ein Federscharnier und schließt sich mit einem Knall, der ein bisschen im Treppenhaus widerhallt. Davor hat niemand etwas gehört. Aber wie gesagt, das Ehepaar im Parterre hat geschlafen, und die alte Frau unter uns ist fast taub.« Beller neigte den Kopf, um die Leiche wieder über Fabels Schulter hinweg zu betrachten. »Jedenfalls war es ein total Verrückter. Aber natürlich brauchte sie sich nicht zu wundern. Wer sich auf dieses Geschäft einlässt, zieht ja alle möglichen perversen Brüder von der Straße an.«
    Fabel griff nach dem zerknitterten Foto, das an der Lampe auf dem Nachttisch lehnte. Ein abgenutztes Fragment aus dem Leben, dem wirklichen Leben eines Menschen. Es passte so gut in diese leblose Wohnung wie ein Sandkorn ins Auge. Man hatte das Bild, so vermutete Fabel, an

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