Jan Fabel 01 - Blutadler
mit ihren persönlichen Habseligkeiten und mit ihrem Personalausweis?«
»Nichts zu finden.«
Fabel bemerkte, dass man den Nachttisch auf der Suche nach Fingerabdrücken bereits eingestaubt hatte. Er zog eine der Schubladen auf. Darin lagen ein übergroßer Vibrator und vier Pornozeitschriften: eine davon war ein Bondage-Spezialmagazin. Er schaute den Körper erneut an. Die Handgelenke und Knöchel waren mit schwarzen Strümpfen straff an die Bettpfosten gefesselt worden. Es schien sich um eine praktische und ungeplante Maßnahme, nicht um eine vorsätzliche, erotische Methode gehandelt zu haben, zumal das ganze andere Bondage-Zubehör fehlte. Die zweite Schublade enthielt noch mehr Präservative, eine große Schachtel mit Papiertüchern und eine Flasche Massageöl. Die dritte Schublade war leer, abgesehen von einem Schreibblock und zwei Kugelschreibern. Fabel wandte sich an den Chef des Spurensicherungsteams.
»Wo ist Holger Brauner?« So hieß der Leiter der Spurensicherungsabteilung.
»Er hat bis zum Wochenende Urlaub.«
Fabel wünschte sich, dass Brauner Dienst gehabt hätte. Der Mann konnte einen Tatort interpretieren wie ein Archäologe eine Landschaft. Er entdeckte die für alle anderen unsichtbaren Spuren derjenigen, die vorher am selben Ort gewesen waren. »Kann einer Ihrer Leute all das Zeug für mich eintüten?«
»Natürlich, Herr Hauptkommissar.«
»Und sonst war nichts in der unteren Schublade?«
Der Teamchef runzelte die Stirn. »Nein. Alles, was wir zur Untersuchung und zum Einstäuben entfernt haben, ist wieder an seinem Platz. Sonst war da nichts.«
»Haben Sie ihren Terminkalender gefunden?« Wieder sah der Mann verblüfft aus. »Sie war eine Nutte, aber kein Straßenmädchen«, erklärte Fabel. »Ihre Kunden dürften Termine gemacht haben, wahrscheinlich per Telefon. Also muss sie einen Terminkalender besessen haben.«
»Wir sind auf keinen gestoßen.«
»Wenn sie einen hatte, würde ich meinen, dass er dort war«, sagte Fabel und nickte zu der immer noch geöffneten dritten Schublade hinüber. »Wenn wir ihn nicht ausfindig machen können, dann vermute ich, dass unser Mann ihn mitgenommen hat.«
»Um sich zu schützen? Meinst du, sie ist von einem Freier umgebracht worden?«, fragte Paul.
»Da habe ich meine Zweifel. Unser Mann - und das hier ist unser Mann - wäre nicht so blöd, sich eine Frau auszusuchen, die ihn bereits kennt.«
»Es ist also mit Sicherheit der Kerl, der die Kastner umgebracht hat?«
»Wer denn sonst, verdammt noch mal?«, sagte Werner und deutete zu der Leiche hinüber. »Das ist doch eindeutig seine Vorgehensweise.«
Sie verstummten und gaben sich ihren eigenen Gedanken darüber hin, was das Auftauchen eines Serienmörders für sie bedeutete. Alle wussten, dass sie den Abstand zu diesem Ungeheuer nicht überbrücken konnten, bis es erneut gemordet hatte. Und mehr als einmal. Jeder Tatort würde ein wenig mehr Aufschluss bringen: kleine Ermittlungsschritte, die mit dem Blut unschuldiger Opfer bezahlt wurden. Fabel unterbrach das Schweigen.
»Wenn unser Mann den Terminkalender nicht mitgenommen hat, dann hat Klugmann ihn vielleicht eingesteckt, um die Identität seiner Kunden zu schützen.«
Dr. Möller, der Gerichtsmediziner, war immer noch über die Leiche gebeugt und spähte in die zerfetzte Bauchhöhle der Frau. Dann richtete er sich auf, streifte seine blutigen Latexhandschuhe ab und erklärte, an den Hauptkommissar gewandt: »Es ist tatsächlich derselbe Mann, Herr Fabel.« Mit überraschender Zartheit strich Möller das blonde Haar aus dem Gesicht der Frau. »Genau die gleiche Vorgehensweise wie bei dem anderen Opfer.«
»Das sehe ich selbst, Herr Möller. Wann ist sie gestorben?«
»Diese Art der extremen Verstümmelung macht Temperaturmessungen ...«
Fabel schnitt ihm das Wort ab. »Ihre genauest mögliche Schätzung?«
Möller hob das Kinn. Er war um einiges größer als Fabel und blickte auf den Hauptkommissar hinunter, als wäre dieser seiner Aufmerksamkeit nicht würdig. »Ungefähr zwischen ein und drei Uhr morgens.«
Eine hoch gewachsene blonde Frau in einem eleganten grauen Hosenanzug trat aus dem Flur ins Zimmer. Sie sah aus, als würde sie sich im Sitzungssaal einer Bank wohler fühlen als an einem Mordschauplatz. Es war Kriminaloberkommissarin Maria Klee, der letzte Neuzugang zu Fabels Team. »Chef, das musst du dir ansehen.«
Fabel folgte ihr hinaus auf den Flur und in eine extrem schmale Küche. Wie der Rest der Wohnung wirkte die
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