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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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Minuten nachgedacht hatte, fing er ebenso scharfsinnig und unerschütterlich von Neuem an.
    »Sie möchten nicht lange von unserer Gastfreundschaft abhängig sein. Ich sehe, dass Sie so schnell wie möglich aus dem Mitleid meiner Schwestern und vor allen Dingen aus meiner
Barmherzigkeit
entfliehen wollen. Ich merke den Unterschied, welchen Sie hier machen, sehr wohl und zürne Ihnen deshalb durchaus nicht – er ist sehr gerechtfertigt. Sie möchten also gern unabhängig von uns werden?«
    »Gewiss möchte ich das, wie ich schon sagte. Zeigen Sie mir, wie ich arbeiten kann oder wie ich Arbeit finden kann, das ist alles, worum ich jetzt bitte. Dann lassen Sie mich ziehen, und wenn es in die niedrigste Hütte ist – aber gestatten Sie mir, hierzubleiben. Ich kann nicht noch einmal den Kampf mit den Schrecken von Heimatlosigkeit und Armut aufnehmen.«
    »Natürlich, Sie
müssen
hierbleiben«, sagte Diana, indem sie ihre weiße Hand auf meinen Kopf legte. »Sie
müssen
bleiben«, wiederholte Mary in dem Ton anspruchsloser Aufrichtigkeit, der ihr eigen zu sein schien.
    »Wie Sie sehen, macht es meinen Schwestern Freude, Sie hierzubehalten«, sagte Mr. St. John, »geradeso wie es ihnen Freude bereiten würde, einen halb erfrorenen Vogel, den der winterliche Wind in ihr Fenster getrieben hat, zu hegen und zu pflegen.
Ich
allerdings bin mehr geneigt, Ihnen die Möglichkeit zu schaffen, für sich selbst zu sorgen, und ich werde mich auch bemühen, das zu tun. Aber merken Sie wohl auf, meine Sphäre ist eng begrenzt. Ich bin nur der Amtsinhaber in einer armen Landgemeinde, meine Hilfe kann daher nur von bescheidenster Art sein. Wenn Sie also geneigt sind, das Wenige gering zu achten, so müssen Sie wirksamere Hilfe suchen, als ich Ihnen bieten kann.«
    »Sie hat ja schon gesagt, dass sie jede ehrliche Arbeit verrichten will, zu der sie fähig ist«, antwortete Diana für mich. »Und weißt du, St. John, auch sie kann sich ihre Helfer nicht aussuchen: Sie ist sogar gezwungen, mit so rauen Menschen wie dir vorliebzunehmen.«
    »Ich will Schneiderin werden, ich will eine einfache Arbeiterin sein, eine Magd, eine Kinderfrau, wenn sich nichts anderes findet«, antwortete ich.
    »Recht so«, sagte Mr. St. John sehr sachlich. »Wenn das Ihre Gesinnung ist, so verspreche ich, Ihnen zu helfen, sobald ich Zeit und Mittel finde.«
    Dann nahm er das Buch wieder auf, mit dem er vor dem Tee beschäftigt gewesen war. Ich zog mich bald zurück, denn ich war so lange außerhalb des Bettes gewesen und hatte so viel gesprochen, wie es der augenblickliche Zustand meiner Kräfte nur irgend erlaubte.

Dreißigstes Kapitel
     
    Je näher ich die Bewohner von Moor House kennenlernte, desto besser gefielen sie mir. Nach wenigen Tagen hatte ich meine Gesundheit schon so weit wiedererlangt, dass ich denganzen Tag über aufbleiben und sogar schon kurze Spaziergänge machen konnte. Ich konnte mich mit Diana und Mary in all ihre Beschäftigungen teilen, mich mit ihnen unterhalten so viel sie mochten, und ihnen helfen, wo und wann sie es mir gestatteten. In diesem Verkehr lag ein frisch belebendes Vergnügen, das ich hier zum ersten Mal empfand – das Vergnügen, welches Gleichartigkeit des Geschmacks, der Gefühle und der Grundsätze uns stets gewährt.
    Ich liebte die Lektüre, welche sie liebten, was ihnen Freude machte, entzückte mich, was sie schätzten, verehrte ich. Sie liebten ihr von der Welt entlegenes Heim. Auch ich fand einen mächtigen und anhaltenden Reiz in dem kleinen, alten, grauen Gebäude mit seinem niedrigen Dach, seinen vergitterten Fenstern, seinen zerbröckelnden Mauern, seiner Allee von uralten Tannen, welche alle schief unter dem Druck der Gebirgsstürme emporgewachsen waren – mit seinem Garten voll Stechpalmen und Eiben, in dem nur abgehärtete Blumen zur Blüte kommen konnten. Sie hingen mit inniger Liebe an der rotblühenden Heide, in deren Mitte ihr Wohnsitz lag, und an dem tiefen Tal, in welches der steinige Reitweg, der sich an ihrem Tor vorüberzog, hinunterführte, sich zwischen mit Farn bewachsenen Hügeln und den wildesten Weideplätzen hindurchschlängelte, welche je ein Heideland begrenzt und einer Herde grauer Moorlandschafe mit ihren kleinen Lämmern Nahrung geboten haben. Sie hingen mit enthusiastischer Liebe an dieser Landschaft, wie ich sagte. Und ich konnte dieses Gefühl verstehen und seine Aufrichtigkeit und Stärke vermochte ich nachzuempfinden. Auch ich empfand den fesselnden Zauber dieses Ortes. Ich

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