Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
wahrer Menschenfreund bin, aber ich bin willens, Ihnen mit allen mir zu Gebote stehenden Kräften in der Ausführung eines so ehrlichen Vorsatzes zu helfen. Sagen Sie mir also vor allen Dingen, an welche Art von Arbeit Sie gewöhnt sind und was Sie leisten
können
!«
Jetzt hatte ich meinen Tee getrunken. Er hatte mich sehr gekräftigt, gerade so, als ob ein Riese Wein getrunken hätte. Er stärkte meine erschütterten Nerven und machte es mir möglich, diesem eindringlichen jungen Richter ausdauernd zu entgegnen.
»Mr. Rivers«, sagte ich, indem ich mich zu ihm wandte und ihn so ansah, wie er mich: offen und ohne Furcht. »Sie und Ihre Schwestern haben mir einen großen Dienst geleistet – den größten, den ein Mitmensch dem anderen leisten kann. Sie haben mich durch Ihre edle Gastfreundschaft vom Tode errettet. Diese mir erwiesene Wohltat gibt Ihnen einen unbegrenzten Anspruch auf meine Dankbarkeit und bis zu einem gewissen Grad auch Anspruch auf mein Vertrauen. Ich werde Ihnen so viel von der Geschichte des Wanderers erzählen, den Sie beherbergt haben, wie ich es kann, ohne meinen Seelenfrieden aufs Neue zu gefährden – meine eigene geistige und körperliche Sicherheit sowie diejenige anderer.
Ich bin eine Waise, die Tochter eines Geistlichen. Meine Eltern starben, bevor ich sie kennen konnte. Ich wurde von Angehörigen erzogen und in einer gemeinnützigen Anstalt ausgebildet. Ich will Ihnen sogar den Namen des Instituts nennen, in dem ich sechs Jahre als Schülerin und zwei als Lehrerin zubrachte: Es war das Waisenhaus von Lowood in ***shire; Sie werden davon gehört haben, Mr. Rivers. Reverend Robert Brocklehurst ist der Schatzmeister.«
»Ich habe von Mr. Brocklehurst gehört, und ich kenne die Schule.«
»Vor ungefähr einem Jahr verließ ich Lowood, um Privatlehrerin bei einer Familie zu werden. Ich hatte eine gute Stellung und war glücklich. Vier Tage bevor ich hier herkam, war ich gezwungen, die Stellung aufzugeben. Ich kann und darf die Veranlassung zu meiner Abreise nicht erklären, es wäre auch nutzlos und gefährlich. Überdies würde es nicht glaubhaft klingen. Kein Tadel haftet an mir; ich bin ebenso frei von jeder Schuld wie irgendeiner von Ihnen. Unglücklich bin ich und werde es auch noch eine lange Zeit bleiben, denn die Katastrophe, welche mich aus dem Haus trieb, wo ich ein Paradies gefunden hatte, war von seltsamer und schrecklicher Art. Ich nahm nur auf zwei Dinge Rücksicht, als ich meine Flucht plante: Eile und Heimlichkeit. Um diese zu sichern, musste ich alles zurücklassen, was ich besaß, mit Ausnahme eines kleinen Pakets, welches ich in meiner Eile und Seelenangst aber in der Kutsche vergaß, die mich nach Whitcross gebracht hatte. So kam ich denn von allen Mitteln entblößt in diese Gegend. Zwei Nächte schlief ich draußen in Gottes freier Natur, und zwei Tage wanderte ich umher, ohne die Schwelle einer menschlichen Wohnung zu betreten. Nur zweimal während dieser Zeit kam etwas Nahrung über meine Lippen. Und als Sie, Mr. Rivers, es verhinderten, dass ich vor Hunger und Mangel an Ihrer Tür umkam, indem Sie mich in Ihr Haus aufnahmen, hatten Hunger, Verzweiflung und Erschöpfung mich schon an den Rand des Todes gebracht. Ich weiß, was Ihre Schwestern seitdem für mich getan haben, denn während meiner scheinbaren Betäubung war ich nicht immer besinnungslos, und ihrem echten, freiwilligen und ungeheuchelten Mitleid verdanke ich ebenso viel, wie Ihrer christlichen Barmherzigkeit.«
»Lass sie jetzt nicht mehr reden, St. John«, sagte Diana, als ich innehielt. »Wie du siehst, ist sie noch keiner Art von Aufregung gewachsen. Kommen Sie jetzt hier aufs Sofa und setzen Sie sich, Miss Elliott.«
Als ich dieses Alias vernahm, schrak ich unwillkürlichzusammen; ich hatte meinen neuen Namen schon fast vergessen. Mr. Rivers, dem nichts zu entgehen schien, bemerkte es sofort.
»Sie sagten doch, dass Ihr Name Jane Elliott wäre?«, bemerkte er.
»Das sagte ich, und ich halte es für zweckmäßig, mich für den Augenblick so zu nennen. Aber in Wirklichkeit ist dies nicht mein Name, und wenn ich ihn höre, so klingt er meinem Ohr fremd.«
»Sie wollen Ihren wahren Namen also nicht nennen?«
»Nein. Was ich am meisten fürchte, ist, entdeckt zu werden. Daher will ich jede Mitteilung vermeiden, die dazu führen könnte.«
»Ich bin überzeugt, dass Sie daran ganz recht tun«, sagte Diana. »Jetzt aber, lieber Bruder, lass sie wirklich in Ruhe!«
Als St. John jedoch einige
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