Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
von irgendeiner Arbeit gehört haben, zu deren Verrichtung ich mich erbieten könnte.«
»Schon vor drei Wochen fand oder plante ich etwas für Sie; da Sie hier aber glücklich schienen und sich nützlich machten, da meine Schwestern Sie augenscheinlich lieb gewonnen hatten und Ihre Gesellschaft den beiden außerordentliche Freude gewährte, so hielt ich es nicht für ratsam, Ihr gegenseitiges Wohlbehagen früher zu stören, als ihre nahe bevorstehende Abreise von Marsh End auch die Ihre notwendig machen würde.«
»Sie reisen aber schon in drei Tagen ab«, entgegnete ich.
»Ja, und wenn sie abreisen, kehre ich zum Pfarrhaus von Morton zurück. Hannah wird mich begleiten, und dieses alte Haus wird zugeschlossen.«
Ich wartete einige Augenblicke, da ich hoffte, er würde fortfahren, über den zuerst erwähnten Gegenstand zu sprechen. Er schien jedoch in einen anderen Gedankengang hineingeraten zu sein. Sein Blick verriet mir, dass er weit vonmir und meiner Angelegenheit abgeschweift war. So war ich denn gezwungen, ihn auf das Thema zurückzubringen, welches notwendigerweise für mich von so großer Bedeutung war.
»Und was war die Beschäftigung, Mr. Rivers, die Sie für mich im Auge hatten? Ich hoffe, dass dieser Aufschub nicht die Schwierigkeit vergrößert hat, sie für mich zu sichern?«
»O nein. Es handelt sich um eine Beschäftigung, welche nur davon abhängig ist, ob
ich
sie vergeben werde und ob
Sie
diese annehmen.«
Hier hielt er wieder inne. Nur widerstrebend schien er fortzufahren. Ich wurde ungeduldig. Ein oder zwei unruhige Gesten und ein ängstlicher, fragender Blick, den ich auf sein Gesicht heftete, drückten ihm meine Empfindungen deutlicher und weniger mühevoll aus, als Worte dazu imstande gewesen wären.
»Die näheren Umstände haben keine Eile«, sagte er. »Lassen Sie mich Ihnen aufrichtig sagen, dass ich nichts besonders Wünschenswertes oder Profitables vorzuschlagen habe. Ehe ich mich weiter erkläre, bitte ich Sie, sich meiner Worte zu erinnern, dass, wenn ich Ihnen helfen würde, es nur so sein könnte, wie der Blinde dem Lahmen hilft. Ich bin arm, denn nachdem ich die Schulden meines Vaters bezahlt habe, besteht mein ganzes Erbe in diesem bröckelnden Gehöft, der Reihe krummer Tannen dahinter und in dem Fleckchen Moorerde mit den Eiben und Stechpalmen darauf. Auch bin ich ein unbekannter Mann: Rivers ist zwar ein alter Name, aber von den drei einzigen Nachkommen dieses Geschlechts verdienen zwei ihr hartes Brot in Abhängigkeit unter Fremden, und der dritte betrachtet sich als Fremder in seinem Vaterland – nicht allein für dieses Leben, sondern auch im Tod. Ja, und er erachtet sich – er ist sogar gezwungen, sich dafür zu erachten – geehrt durch dieses Los und sehnt sich nur nach dem Tag, an dem das Kreuz der Trennung von allen fleischlichen, irdischen Banden aufseine Schultern gelegt wird, und das Oberhaupt jener kirchlichen Streitmacht, deren geringstes Mitglied er ist, zu ihm das Wort spricht: ›Steh auf und folge mir nach!‹«
St. John sprach diese Worte, wie er seine Predigten sprach – mit einer ruhigen, tiefen Stimme, mit bleichen Wangen aber mit funkelndem Glanz in den Augen. Dann fuhr er fort:
»Und da ich selbst arm und unbekannt bin, kann ich auch Ihnen nur eine Stelle der Armut und der Bedeutungslosigkeit bieten.
Sie
mögen sie vielleicht sogar für entehrend halten, denn ich habe nun bemerkt, dass Ihre Gewohnheiten das sind, was die Welt ›verfeinert‹ nennt – Ihr Geschmack bevorzugt das Ideale und Ihre Gesellschaft hat aus wohlerzogenen Menschen bestanden. Ich bin jedoch der Ansicht, dass kein Dienst entehrt, welcher dazu beiträgt, das Menschengeschlecht besser zu machen. Ich halte dafür, dass, je unfruchtbarer und vernachlässigter der Boden, welcher dem Christen zur Urbarmachung zugewiesen ist, je geringer also die Ausbeute, welche seine Arbeit ihm bringt, desto größer die Ehre. Unter solchen Umständen ist sein Los das des Pioniers, und die ersten Pioniere des Evangeliums waren die Apostel – ihr Anführer war Jesus Christus, der Erlöser selbst.«
»Nun«, sagte ich, als er wiederum innehielt, »weshalb fahren Sie nicht fort?«
Er blickte mich an, bevor er fortfuhr. In der Tat, er schien gemächlich in meinem Gesicht zu lesen, als wären dessen Züge und Linien die gedruckten Worte eines Buches. Den Schlussfolgerungen, welche er aus dieser Prüfung zog, verlieh er in seinen gleich darauf folgenden Äußerungen Ausdruck.
»Ich glaube, dass
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