Je länger, je lieber - Roman
belustigten Augen zwinkerten sie fröhlich an. Vor Schreck fiel Mimi kein einziges französisches Wort mehr ein. Also fragte sie auf Deutsch: »Ist der Hund weg?«
Und erfreulicherweise sprach der Mann erstaunlich gut ihre Sprache. »Kommen Sie ...« Er streckte Mimi die Hand entgegen. Sie schüttelte den Kopf. »Non!«
»Der Hund ist weg, Sie können rauskommen. Mein Enkel Paul passt jetzt auf ihn auf.«
Tastend trat Mimi hinaus in die helle Küche. Mit weit aufgerissenen Augen scannte sie den Raum ab. Schließlich entspannte sie sich und lächelte den schlanken Mann mit den ausdrucksstarken Augen an. Er trug, ungewöhnlich für einen so alten Mann, ein Hemd und Jeans. Noch immer hielt er ihre Hand. »Bonjour!« Dann überlegte er kurz und sprach auf Deutsch weiter. »Kann ich helfen? Wollen Sie ein Zimmer?«
Mimi schüttelte wieder den Kopf. Am besten, sie brachte ohne Umschweife ihr Anliegen vor, bevor sie Zeit hatte, sich eine komplizierte Erklärung zurechtzulegen. »Ich suche Jacques Barreto. Kennen Sie ihn?«
»Bien sur!« Der Mann lächelte und ließ endlich Mimis Hand los. Er hatte wunderschöne Zähne und graues, dichtes Haar. Er war ein wirklich gut aussehender, sportlicher Mann. »Er ist mon père.«
»Ah.« Mimi zog die Augenbrauen hoch. Der Mann schien so erfreut, den Namen seines Vaters zu hören, dass er kaum tot sein konnte. Also traute sich Mimi gleich die nächste Frage: »Ist er hier?«
»Hier?« Der Mann schüttelte lachend den Kopf. »Was denken Sie?«
Ja, was dachte Mimi? War er vielleicht doch tot? Sie lächelte verlegen. »Ich dachte, ich könnte mit ihm sprechen.«
»Avec mon père?« Der Mann sah Mimi erstaunt an. »Pourquoi?«
»Weil …« Mimi biss sich auf die Lippen. Sollte sie mit ihrem wahren Grund herausrücken? Dieser Mann war Jacques’ Sohn. Das bedeutete, Daria, Jacques’ Frau, war vermutlich seine Mutter. Es war also nicht ganz ausgeschlossen, dass er nicht sonderlich erfreut war, wenn Mimi nun mit der einstigen großen Liebe seines Vaters ankam. Also sagte sie nur: »Ich bin Mimi. Meine Großmutter war mit Ihrem Vater in der Kindheit befreundet.« Das klang erst einmal harmlos, oder?
Der Mann streckte Mimi schon wieder die Hand hin und schüttelte die ihre. »Pedro! Schön, dass Sie bei uns vorbeischauen. Darf ich fragen: Lebt Ihre grand-mère noch? Hat sie Ihnen von meinem Vater erzählt?«
»Ja, sie lebt noch. Und nein, sie hat mir nicht von Ihrem Vater erzählt. Um ehrlich zu sein, habe ich Postkarten gefunden, die er ihr vor etwa achtzig Jahren aus Cadaqués geschrieben hat. Ich glaube, die beiden haben sich, nun ja, gemocht.« Jetzt war es draußen. Was sollte das Um-den-heißen-Brei-Herumreden? Der Beginn ihrer Freundschaft lag so weit zurück. Kein Grund, unruhig zu werden. Sie lächelte und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Pedro nickte. »Il est difficile!«, wobei er den Kopf wiegte, zum Zeichen, dass sein Vater ein wenig kompliziert sei. »Mais, ich werde fragen, ob er sich mit Ihnen unterhalten will. Il habite nicht weit von hier. Hinter dem Hotel, ein Stück durch die Felder. Wenn Sie kurz warten, rufe ich ihn an. Sagen Sie mir nur, wie heißt Ihre grand-mère?«
»Clara. Clara Zweig.«
Die grünen Augen des Mannes zuckten, als würde er es sich doch noch einmal anders überlegen und versuchen, Mimi loszuwerden. Aber dann murmelte er: »Clara Zweig. Ich bin gleich wieder da.« Er verschwand in der kleinen Bürokammer und zog hinter sich die Tür zu.
»Haben Sie vielen Dank!«, murmelte Mimi mehr zu sich selbst und sah sich in der Küche um, auf deren Anrichte eine geschnitzte Ziegenherde von beachtlichem Ausmaß stand. Wer sich diese unglaubliche Arbeit wohl gemacht hatte? Kleine und große Ziegen. Liegende und stehende. Wie echt und lebendig sie wirkten! Jetzt musste Jacques nur noch zustimmen, sie zu treffen. Es war schwer zu erkennen gewesen, ob Pedro wirklich etwas mit dem Namen ihrer Großmutter verband, oder ob er nur versucht hatte, ihn sich zu merken. Hauptsache, er kam zurück, bevor dieser riesige Hund wieder auftauchte und ihr doch noch den Arm abbiss.
43
Arles, 2013
»Sie haben Glück.« Nach ein paar Minuten kam Pedro wieder aus der Kammer. »Mon père ist wach. Er freut sich, wenn Sie ihn besuchen.« Er gab Mimi einen Wink, mit ihm aus der Küche zu kommen und ihm den schmalen Plattenweg zwischen Oleandersträuchern und Palmen zu folgen, bis sie durch das Tor wieder auf die Platanenallee stießen. Gegen die
Weitere Kostenlose Bücher