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Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)

Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)

Titel: Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Mockridge , Lars Lindigkeit , Markus Paßlick
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potentiellen Totenstars. Einerseits fühle ich mich davon gebauchpinselt, kann mich einem gewissen Geschmeicheltsein nicht verwehren – sie wollen schließlich nicht irgendeinen 08/15-Leichnam in ihrem Sarg liegen haben, nein: Sie wollen mich ! Andererseits nervt es manchmal auch ganz schön. In meiner Nachbarschaft in Bonn-Endenich gibt es ein ganz besonders hartnäckiges Exemplar dieser Spezies: »Herr Sannemann«, seines Zeichens überengagierter Bestatter in der dritten Generation. Bringt seit vierzig Jahren alles, was nicht bei drei noch Herzschlag hat, erfolgreich unter die Erde. Wir treffen uns oft in der Metzgerei Lüpke, wo Herr Sannemann stets genau hinter mir steht. Sein Atem formt Eiskristalle in meinem Nacken, wenn er mir mit hoher Fistelstimme ins Ohr flötet:
    »Naaaaaaa, Herr Mockridge, geht’s Ihnen gut?«
    Ich stelle sofort klar, dass er wie immer zu früh dran ist.
    »Blendend! Gut, sehr gut! Na ja, letzte Woche war mir so ein bisschen schwindelig …«
    Die Augen von Herrn Sannemann fangen freudig an zu leuchten.
    »Ach jaaaaaa?«
    »Nein, nein – nicht, was Sie jetzt denken! Machen Sie sich keine Hoffnung. Mir geht’s wieder tot … tut … gut ! Mir geht’s total gut !!«
    Der Schweiß rinnt bereits hektoliterweise von meiner Stirn. Herr Sannemann lässt derweil nicht locker.
    »Ja, und die Kinderchen?«
    »Auch. Quicklebendig, kein Bedarf!«
    Als ich dann endlich an der Fleischtheke dran bin und nur noch so schnell wie möglich aus dieser Metzgerei und den Fängen von Herrn Sannemann entfliehen will, fistelt dieser mir weiter ins Ohr.
    »Haben Sie das von Willy Thieves gehört?«
    »Nee, was ist mit dem?«
    »Heute Morgen gestorben.«
    »Wie – tot?«
    »Ich glaube, ja. Jedenfalls liegt der bei mir im Keller und ist nicht sehr redselig.«
    »Oh Gott. Das ist ja schrecklich!«
    Frau Lüpke verpackt mein Gehacktes. Ich will nur noch raus hier. Kann mir die Frage aber nicht verkneifen.
    »Wie kam das denn?«
    »Der ist heute mit den Enkeln in den Streichelzoo gefahren. Plötzlich kippte er um, knallte auf eine Bergziege … War sofort tot.«
    »Wie, die Bergziege?«
    Herr Sannemann kann ein irres Kichern nicht unterdrücken. Draußen hört man keinen einzigen Vogel mehr zwitschern.
    »Ja, die auch. Verrückt, oder? Wie das Leben so spielt. Morgens im Zoo, abends bei mir im Keller.«
    Die ganze Zeit, während Bestatter Sannemann mit mir redet, denke ich: Er ist die ganze Zeit heimlich am Kalkulieren. Guckt an mir herunter, von oben nach unten – fehlt nur noch, dass er direkt das Maßband herausholt. Sannemann sieht schon längst nicht mehr mich, Bill Mockridge, vor sich stehen. Er sieht: Eiche rustikal, Messinggriffe, teure Innenausstattung.
    »Sie schauen müde aus, Herr Mockridge …«
    Ich schnappe mir mein Fleisch, gebe Frau Lüpke fast vier Euro Trinkgeld, nur um nicht noch auf mein Wechselgeld warten zu müssen.
    »Es wird langsam Zeit für mich abzutreten, äh, heimzugehen, ich wurde heimgerufen, äh, ich meine: Ich muss heimgehen, ich muss gehen!«
    »Ja, ja. Wir müssen alle gehen, machen Sie sich da mal keine Sorgen.«
    »Ja, Wiedersehen, Herr Sensemann … äh, Sannemann!«
    Ich stolpere an den anderen Kunden vorbei zur Tür. Als ich mich noch einmal kurz umdrehe, sehe ich Herrn Sannemann mir lächelnd mit seinen dürren, knochigen Fingern hinterherwinken.
    »Wir seeeeehen uns!«

    So anstrengend meine unfreiwilligen Rendezvous mit Bestatter Sannemann auch sind – sie lassen mich trotzdem über die Frage nachdenken: Wie genau möchte ich eigentlich irgendwann einmal »endgelagert« werden? Normales Einbuddeln scheint ja inzwischen fast schon was für Spießer. Für Menschen, deren Angehörige beim Sandschaufeln auf der Beerdigung nur mitleidig denken: »Er war ja schon immer sehr phantasielos.« Nein, etwas Außergewöhnliches, Spektakuläres muss heutzutage her – etwas, für das man sterben könnte beziehungsweise genau dies getan hat.
    Vielleicht Seebestattung? Lieber nicht – ich werde so schnell seekrank.
    Meinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellen? Auch nicht – am Ende erweckt man mich in einer gruseligen Gewitternacht wieder zum Leben und verkauft mich als willenloses Monster an RTL für »Schwiegertochter gesucht«.
    Nein, jetzt hab ich’s: Meine Asche kommt gut vermengt mit einer ordentlichen Portion Schwarzpulver in eine XXL-Sylvesterrakete – Modell »Final Countdown«. Die wird um Mitternacht von meiner Familie angezündet und zischt

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