Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
Mehr noch: Sie strich sich das blonde Haar hinters Ohr, fing an zu lächeln. Ich lächelte zurück, in der wunderbaren Gewissheit: Ich war wieder im Geschäft! Bill is back!
Die Frau öffnete ihre vollen, zartrosa Lippen, befeuchtete sie noch einmal kurz. Dann sprach sie mich an.
»Brauchen Sie einen Arzt?«
Ihre Worte trafen mich so hart, dass ich fast tatsächlich einen Arzt gebraucht hätte. Doch habe ich durch dieses Erlebnis auch gelernt, meine Alterstarnkappe zu akzeptieren. Mehr noch: Ich weiß die mir auferlegte Aura des asexuellen Wesens inzwischen sogar zu genießen. Ja! Sie eröffnet mir ungeahnte Freiheiten, um die mich jeder Jüngling beneiden würde. Ein Beispiel: Seit nunmehr zwanzig Jahren bewohne ich unter dem Namen Erich Schiller einen erfüllenden TV-Zweitwohnsitz in der »Lindenstraße«. Mitunter betrete ich nichtsahnend unsere Garderobe – völlig zugekalkt in der Birne, dass heute ja wieder mal ein Hochzeitsbild für die Serie ansteht. Die Folge: Das halbe weibliche »Lindenstraßen«-Ensemble steht nackig vor mir, wie Gott es schuf. (Und zwar ohne Zweifel an einem Tag, an dem er verdammt gut drauf war.) Sobald die spärlich bekleideten Damen mich erblicken, reagieren sie jedes Mal kollektiv gleich:
Phase 1 : Ein hochfrequentes, sich panisch bedeckendes »AAAAAAAAIIIIIIIIIIHHHHHH!!!!«
Phase 2 : Ein aufatmendes, die Hüllen wieder fallenlassendes »Ach so, ist nur der Bill. Komm rein, wir dachten, du wärst einer von den Männern!«
Sicher verstehen Sie jetzt, was ich mit »ungeahnten Freiheiten« meine. Als Senior genießt du bei Frauen ähnliche Privilegien wie ein schwuler bester Freund. Sie wissen: Von dir geht keine Gefahr aus. Du bist harmlos wie ein kastrierter alter Kater zwischen all den heißen Kätzchen. Vom Don Juan zum Knuddel-Bill – meine ganz persönliche Evolution in den Augen der Frauen. Ich akzeptiere mein Schicksal und mache das Beste daraus.
Ach so, liebe »Lindenstraßen«-Kolleginnen: Ich hab auch gar nicht hingesehen. Großes Knuddel-Bill-Ehrenwort!
5.
Bestatter begehren mich
Fühlen Sie sich manchmal verfolgt? Auf offener Straße, von wildfremden Menschen? Dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass Sie ganz gehörig einen an der paranoiden Waffel haben und demnächst mit Ihrem topmodischen Anti-Gedankenles-Alufolienhut von den Männern mit den weißen Kitteln abgeholt werden. Es sei denn … ja, es sei denn: Sie werden alt.
Dann ist es keine Einbildung. Im Gegenteil, Sie beweisen guten Instinkt – schließlich sind Bestatter auf der Pirsch, immer und überall. Und das ist kein Wunder. Die Beerdigungsindustrie steckt in der Krise, und zwar tiefer als die Gräber ihrer Kunden! Schließlich lebt die Kundschaft immer länger und bleibt bis ins hohe Alter fit wie ein Turnschuh. Der einst so exklusive »Club der Dreistelligen« (die Ü-100) hat sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Da ist kein Ende in Sicht. Meine eigene Mutter wurde wie gesagt 101, die Queen Mum schaffte 102. Laut »Stern« hat unsere Generation die Aussicht, 120 zu werden! Klar, dass eine solche Entwicklung für Bestatter tödlich ist.
Oder eben nicht – genau darin liegt ja deren Problem. In der Titelgeschichte der letzten »Schöner Sterben« (das offizielle Bestatter-Fachorgan) konnte man die ungeschminkte Wahrheit schwarz auf weiß nachlesen: »Die Sterbefreudigkeit in Deutschland hat in den letzten Jahren dramatisch nachgelassen.« So schaut es aus. Der Verbandspräsident der Bundesbestatter wiederholt unermüdlich bei jeder Gelegenheit: »Unsere Devise ist Akquise!«
Darum Augen auf, Freunde: Bestatter sind die Groupies der Senioren – sie verfolgen dich überall. Kaum sehen sie dich die Straße entlangschlurfen, kommen sie auch schon gierig geifernd, mit ausgestreckten Armen auf dich zugerannt. Natürlich wollen sie genau wie Groupies von Rockstars nur das eine von dir: deinen Körper. Sie wollen dich mit Haut und Haaren. Und sie wollen dich kalt.
Bestatter wittern den süßlichen Geruch der Verwesung bereits Jahrzehnte vor allen anderen Menschen. Wie ein Hai, der einen einzigen kleinen Tropfen Blut im weiten Ozean riecht, wird ihr Jagdtrieb in genau dem Moment geweckt, in dem ich alter Zausel um die Ecke komme. Wenn ich dann auch noch, ein klein wenig blass um die Nase, niese, ist alles zu spät: Innerhalb weniger Sekunden bin ich umzingelt von einer Traube von Bestattern, die mit vollem Körpereinsatz um mich buhlen, als sei ich der Robbie Williams unter den
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