Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
nicht nervös werden … Du musst es bis zum Telefon schaffen und die Polizei anrufen. Ganz ruhig, Bill.«
Hä? Wieso Bill ?
Und dann kam die schreckliche Erkenntnis: Diese Stimme! Das bin ja ich!
An jenem Morgen wurde mir klar: Ich bin ein Brabbler !
Kennen Sie Brabbler? Das sind Menschen, die ständig ihr eigenes Tun kommentieren müssen: »So, was wollte ich noch? Ach ja, ins Arbeitszimmer gehen, endlich mal das Bild aufhängen. Ja, ja, gute Idee. Dann hole ich mal schnell den Hammer und einen Nagel, geht ja schlecht ohne … So, eben die Tür aufmachen. Sooo, Licht an, dann sieht man mehr … Und da ist auch schon der Hammer …«
Und so weiter und so weiter. Jeder Schritt wird mit sinnlosen Sätzen begleitet. Ich kannte dieses Phänomen bislang nur von älteren Menschen. Und jetzt? Jetzt gehörte ich auch dazu: alt und brabbelnd.
Warum hat mir das niemand gesagt? Na gut, ehrlich gesagt, hat es mir jemand gesagt: meine Familie, meine Nachbarschaft, meine Kollegen aus der »Lindenstraße«. Gut, meinen Boulefreunden fällt es nicht auf, weil sie auch von dem Virus befallen sind. Eine Boulerunde klingt bei uns wie ein Sonntagnachmittag im Museum. Alle brabbeln leise vor sich. Warum ist mir mein eigenes Gebrabbel nicht früher aufgefallen? Liegt wohl daran, dass man als Brabbler seine eigene Stimme nicht hört. Man nimmt sie irgendwie wahr, aber das Gehirn denkt: »Nee, ist nicht wichtig, lass den alten Mann doch brabbeln.«
Jetzt weiß ich auch, warum in den letzten Wochen ständig meine Drehs in der »Lindenstraße« abgebrochen werden mussten. Ich lief durch das Bild und brabbelte: »So, dann gehe ich jetzt mal über die Straße. Ach, da ist ja Marie-Luise. So, jetzt muss ich winken. Ääääh, Arm wieder runter. Schön weitergehen … und nicht in die Kamera schauen … So, jetzt kommt gleich mein Text …«
Und dann hörte ich kurz vor meinem entscheidenden Texteinsatz den genervten Tonmann brüllen: »AUUUUS! Das geht so nicht! Bill, können wir die Szene noch mal ohne Gebrabbel haben?«
Ich war natürlich empört: »Was? Wer brabbelt denn in meine Szene? Bin ich denn nur von Anfängern umgeben? Ich kann so nicht arbeiten!«
Mein Gott, wie peinlich!
Meine Jungs haben das netter ausgedrückt: »Dad, du musst nicht immer vorher ankündigen, wenn du dir ein Bier aus dem Kühlschrank holen willst. Wir lassen uns lieber überraschen.«
Aber ich habe mein Gebrabbel in den Griff bekommen. Ganz alleine. Ohne Selbsthilfegruppe oder »Anonyme Brabbler«. Ich habe mir nämlich in Ruhe überlegt, warum ich brabbele. Das liegt daran, dass ich mich nicht auf eine Sache konzentrieren kann. Frauen sind multitasking-fähig. Ich bin es nicht. Ich mache meist bis zu zehn verschiedene Aktionen gleichzeitig und verliere dabei vollkommen den Überblick. Darum fing ich an zu brabbeln: Um mir selbst kleine, aber klare Ansagen zu machen. Macht ja sonst keiner für mich!
Können Sie mich verstehen? Nein? Wie soll ich Ihnen das erklären? Vielleicht so: Ich beschreibe Ihnen einfach drei Minuten aus meinem Leben. Drei typische Minuten. Welche nehme ich denn? Ach, machen wir einfach bei dem Bild in meinem Arbeitszimmer weiter.
00:00 Minuten
Also, ich habe das Bild aufgehängt. Es hängt grade, und ich bin sehr zufrieden. Ich denke mir: So, am besten legst du den Hammer direkt wieder in die Werkzeugkiste. »Ordnung muss sein«, sage ich immer zu meinen Jungs. »Ein jedes Ding an seinem Ort, spart viel Zeit und böses Wort!« Ich bin also auf dem Weg zur Werkzeugkiste, da klingelt plötzlich das Telefon. Ich gehe zur Basisstation der Telefonanlage und finde das Telefon – nicht! Ist ja klar! Okay, nicht aufregen, wahrscheinlich liegt es in irgendeinem Zimmer. Dann geht die Reise los: Durch sämtliche Zimmer im Erdgeschoss, überall ist das blöde Klingeln zu hören, aber nirgends ist das Telefon zu finden. Schnell die Treppe hoch, bis in unser Schlafzimmer. Auch dort ist kein Telefon zu sehen. Ich hechte aus dem Schlafzimmer und stürze in das erste Kinderzimmer, das Klingeln ist jetzt kaum noch zu hören. Ich klappere die restlichen Kinderzimmer ab und finde das Telefon – wie konnte es anders sein – im letzten Kinderzimmer, bei Luki in der Sockenschublade.
00:13 Minuten
Schwer atmend nehme ich ab und röchele: »Äh, hallo Margie … Nein, hier ist keine Sex-Hotline, ich habe nur das Telefon gesucht … Was? Äh, ja … Ach so, Getränke-Vendel kommt heute Morgen. Heute oder morgen? … Heute! …
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