Jeans und große Klappe
er noch nicht gelandet. Ich weiß nicht, was er an der findet.«
»Dein Fall wäre sie also nicht?«
»Nee, sie ist bloß ein wunderhübsches Kamel.«
»Was heißt das im Klartext?«
»Daß sie gut aussieht, aber einen Hohlkopf hat. Außerdem steht sie auf einen aus der elften Klasse, da hat Sven sowieso nichts zu melden.«
Seine Anknüpfungsversuche kamen auch sämtlich ungeöffnet zurück. Er stellte den Rilke wieder in den Bücherschrank, holte statt dessen die Memoiren von Cassius Clay heraus und trat in den Karate-Club ein. Nach vierzehn Tagen trat er wieder aus. Das Schattenboxen fand er idiotisch, und für Gymnastik hatte er noch nie etwas übrig gehabt. »Aber schreien kann ich schon!«
Langsam kam auch Sascha wieder auf die Erde zurück Constanze erschien ihm zwar immer noch bewundernswert, aber die stummen Huldigungen genügten ihr nicht mehr. Sie stellte reale Ansprüche, und die kollidierten mit Saschas chronischem Geldmangel. Eisbecher sind teuer, und eine Fahrt mit dem Riesenrad, der diesjährigen Attraktion des Schützenfestes, kostete eine Mark pro Person. Vielleicht war er auch die nicht immer sehr taktvollen Anspielungen seiner Freunde leid. Im Grunde genommen war ich ganz froh, daß Sascha sich wieder mehr für Andys Mofa interessierte als für Constanzes neue Frisur.
»Kriege ich zu meinem fünfzehnten Geburtstag eigentlich eins?« wollte Sascha von seinem Vater wissen.
»Nur über meine Leiche!« versicherte der ungerührt.
»Du weißt genau, was ich von diesen Maschinchen halte. Wir haben das Thema oft genug debattiert, und ich habe meine Meinung in der Zwischenzeit keineswegs geändert. Außerdem ist Radfahren gesünder.«
»Aber der Lupus corridor bekommt in der nächsten Woche auch ein Mofa und … «
» … und liegt in der übernächsten im Krankenhaus. Wer ist das überhaupt?«
»Wieso, wer? Ach, du meinst Lupus? So nennen wir jetzt den Wolfgang. Lupus heißt Wolf, na ja, und Gang ist eben Corridor.«
Seitdem die Knaben Latein lernten, aßen wir nicht mehr am Tisch, sondern am Tabula, auf den Tellern lag kein Fleisch, sondern Carne, und wir saßen auch nicht mehr auf der Terrasse, sondern im Atrium. Was zwar nicht stimmte, aber nach Meinung der humanistisch gebildeten Söhne besser klang. Und weil sie ohnehin dabei waren, im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten alle Begriffe zu latinisieren, beschlossen sie auch gleich, das allzu kindliche »Mami« abzulegen und eine würdigere Anrede zu benutzen. Eine Zeitlang nannten sie mich Domina, aber das erinnerte mich so nachhaltig an ein adeliges Damenstift, und ich verbat mir diese Bezeichnung. Sascha versuchte es dann mit »Maure«, aus dem schließlich ein langgezogenes »Määm« wurde. Dabei ist es geblieben, und mitunter hören sich diese Rufe an wie die einer Ziege mit Sprachstörungen.
Die Zwillinge hatten sich nun auch an den Schulalltag gewöhnen müssen, wenn auch Katja in den ersten Tagen ziemlich enttäuscht nach Hause gekommen war.
»Gemalt haben wir im Kindergarten genug, wann lernen wir denn endlich was?«
In Pädagogenkreisen streitet man ja noch heute darüber, nach welcher Methode man den Abc-Schützen am effektivsten das Lesen beibringt. Sven hat es noch auf dem herkömmlichen Wege gelernt. Bei Saschas Schuleintritt probierte man gerade herum, und so wurde in unserer Familie Stefanie das erste Opfer der Ganzwortmethode. Als sie die zweite Grundschulklasse zur Hälfte absolviert hatte, hatte ich bereits die Hoffnung aufgegeben, daß meine Tochter jemals lesen lernen würde. Dann entdeckte sie die alten Comic-Hefte ihrer Brüder, und nach einigen Wochen konnte sie auch schon das Fernsehprogramm entziffern.
Die Zwillinge lernten ebenfalls ganze Wörter:
»Heißt das hier ›blau‹?«
»Nein, das heißt ›grün‹.«
»Aber daneben ist doch ein blaues Auto.«
»Egal, das Wort heißt trotzdem ›grün‹.«
»Das ist eine Gemeinheit. Woher soll ich denn nun wissen, ob das ›grün‹ oder ›blau‹ heißt?«
»Du sollst es ja auch nicht wissen, du sollst es lesen!«
Zwei Wochen später.
Nicki sitzt vor ihrer Fibel und buchstabiert sehr bedächtig und akzentuiert: »Robert hat einen roten Roller.« Dabei gleitet ihr Zeigefinger sorgfältig die Zeile entlang, und auf der steht: Bärbel hat einen blauen Ball.
Es lebe der Fortschritt!
Begonnen hatte der ›erste Schritt ins Leben‹ an einem Mittwochnachmittag, und zwar mit einem Schulgottesdienst.
Nun muß ich vorausschicken, daß wir zwar
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