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Jeden Tag, Jede Stunde

Jeden Tag, Jede Stunde

Titel: Jeden Tag, Jede Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natasa Dragnic
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Es sieht so aus, als hätte Katja es eilig.
    »Luka, schlafwandelst du, oder was?« Vinko winkt ihm zu. »Komm, sieh, was wir gefunden haben.«
    »Ich habe es gefunden, es ist mein Geld!« Lovre schreit, denn es sind plötzlich zu viele Erwachsene da. Und die haben bekanntlich oft blöde Ideen. Wie zum Beispiel tolle Sachen, die man gefunden hat, zurückzugeben oder der Polizei auszuhändigen. Wogegen Lovre etwas einzuwenden hat. Es wird nicht lange dauern und er wird weinen müssen, das spürt er ganz genau. Also betont er noch einmal: »Es gehört mir, ich habe es gefunden, es ist meins!«
    Luka kommt näher, lächelt Lovre an, der ihn aber nur sehr misstrauisch beäugt, sieht auf einem Stein ein Hemd liegen und in Vinkos Hand einen Geldbeutel. Und er denkt an die ermordete Frau und fragt sich, warum er es damals nicht gemacht hat. So unerwartet kommen Gedanken und Erinnerungen und Gefühle! Wie kann man sich dagegen wehren?
    »Meinst du, es ist etwas passiert? Wer lässt sein Hemd und Portemonnaie einfach so liegen?« Vinko sieht Luka besorgt an.
    Und Luka denkt, dass er ein Heuchler ist: Er hatte nicht einmal den Mut, Klara zu verlassen – wie wollte er sie da töten können. Atme und leide, nichts anderes bleibt dir übrig.
    »Erinnerst du dich an die ermordete Frau?«

38
    »Sie braucht eine neue Niere, und zwar ziemlich bald. Die zweite Schwangerschaft hätte nicht sein dürfen.« Der Arzt spricht distanziert und unbeteiligt zu der versammelten Familie. Alle sind da, sogar Luka, der die Krankenhaustermine sonst gerne verpasst.
    Ana ist da und spricht mit dem Arzt in dieser unverständlichen Sprache, die nur für Eingeweihte einen Sinn ergibt. Zoran und Maja spielen Schach. Maja gewinnt. Sie ist die Klügste in der Familie, als wäre sie schon alt und weise zur Welt gekommen. Katjas Mann Andrija steht neben dem Arzt und Ana und folgt ihnen auf Schritt und Tritt, ohne etwas zu verstehen, aber er ist dabei, hat alles unter Kontrolle, nichts Schlimmes kann passieren. Klara sitzt auf dem harten Krankenhausstuhl und starrt ins Leere. Luka steht am Fenster und denkt an die Nacht, in der Katja geboren wurde. Und er weiß schon, was er zu tun hat. Langsam, sein Bein nachziehend, geht er zu den Ärzten und macht den Vorschlag.
    »Gut, das ist natürlich immer die beste Lösung. Wir müssen nur noch sichergehen, dass Ihre Niere von der Patientin angenommen wird.«
    »Wieso soll sie sie nicht annehmen?! Ich bin doch ihr Vater!« Luka findet es lächerlich und empörend.
    »Natürlich. Dennoch müssen wir zuerst einige Tests durchführen.«
    Und schon will Luka wieder protestieren, als Ana ihn an die Hand nimmt und wegzieht. Alles ist gut, Luka, alles ist gut, flüstert sie ihm zu. Sie führt ihn zu Zoran und Maja, und Luka setzt sich zu ihnen und schweigt. Zoran verzieht den Mund als Zeichen seines Mitgefühls. Luka legt die Hand auf Majas Kopf. Sie sieht ihn an, verwundert und ein wenig misstrauisch, wie immer. »Alles wird gut, tata«, sagt sie und denkt weiter über den nächsten Zug nach. Andrija setzt sich neben Luka. Luka grinst ihn an und nickt, als wollte er sagen, ja, ich weiß, es ist schwer, aber es wird schon alles gut gehen. Andrija sieht ihn an, und Luka erkennt Angst und Wut und Hilflosigkeit in seinen jungen Augen, die noch kein Unglück und keine Trauer, keine Misserfolge kennen.
    »Wo sind die Kinder?«
    »Bei meiner Mutter.«
    »Gut.«
    Dann ein langes Schweigen voller Unsicherheit. Nur das Ziehen der Schachfiguren auf dem Holzbrett ist zu hören. Man schreibt das Jahr 2008.
     
    »Mama, wie findest du es?«
    »Wunderbar! Vielleicht ein bisschen zu dunkel und bedrohlich. Hast du es selbst gezeichnet oder aus einem Buch kopiert?«
    »Selbst gemalt, natürlich!«
    »Er sieht so echt aus, so lebendig, als könnte er gleich angreifen und zubeißen. Faszinierend!«
    »Ja, nicht wahr? Es ist ein Fossilhai, hemipristis elongatus . Lebt im Indopazifik und im Indischen Ozean, bis zum Roten Meer. Nicht sehr groß, höchstens eins vierzig. Monsieur Demy wird zufrieden sein mit meinem Referat, was meinst du?«
    »Du hast ein großes Talent, mein Sohn. Vielleicht solltest du es mit Malen versuchen.«
    »Vielleicht.«
     
    »Wieso bist du bei dem Wetter zu Fuß gekommen, tata? Andrija hätte dich doch abholen können.« Katja wischt Luka die Regentropfen vom Gesicht ab.
    Luka lässt sie machen, er mag ihre Berührung auf der Haut. Es tut gut. Keiner fasst ihn mehr an, schon seit Jahren nicht mehr. Seit er aufgehört

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