Jeden Tag, Jede Stunde
hat, mit ihm mehr oder weniger unbekannten Frauen für ein paar Stunden aus den Kneipen zu verschwinden. Man kann auch ohne Sex überleben. Aber er fühlt sich alt und verbraucht und ausgelaugt, obwohl er erst neunundvierzig Jahre alt ist.
»Ach, das macht mir doch nichts aus. Du weißt, ich brauche meine Bewegung, und es sind nur ein paar Tropfen!«
Katja schüttelt unzufrieden den Kopf, als wäre er ihr ungehorsames Kind, über das sich eine Mutter wundern muss.
»Wie geht es dir, mein Schatz?« Luka hält ihre Hand.
»Es geht.« Aber es ist offensichtlich, dass es nicht geht. Katja ist blass und hat bläuliche Ringe um die Augen, und ihre Haut ist feucht, obwohl sie nicht im Regen spazieren gegangen ist. Und sie hat immer noch erhöhte Temperatur. Luka fragt sich, wieso die Tests so lange brauchen!
Wie aufs Stichwort erscheint Ana in der Tür. Sie lächelt ihre Nichte an und winkt Luka zu, er solle zu ihr kommen.
»Was gibt es?«
Sie stehen vor Katjas Krankenzimmer. Ana hat die Tür zugemacht. Luka ahnt nichts Gutes, kann sich aber nicht vorstellen, was es sein könnte.
»Luka, es tut mir leid.« Ana weiß offensichtlich nicht, wo und wie sie anfangen soll.
»Geht es um Katja? Hat sie keine Zeit mehr? Muss man sie sofort operieren?« Luka schwebt zwischen Angst und Wut und Tatendrang.
»Nein, darum geht es nicht. Es geht nicht um Katja.« Ana verzieht verlegen das Gesicht. Es schmerzt sie, dieses Gespräch führt sie sichtlich gegen ihren Willen.
»Ana, was ist? Sag es endlich!«
Ana sieht ihn an, als müsste sie Abschied von ihm nehmen. Ihre Augen werden tatsächlich feucht und rot. Sie nimmt seine Hand, und Luka lässt sie gewähren.
»Ana!«
»Es tut mir so leid …«
»Was ist, um Gottes willen, sag es!«
Ana wischt sich die Tränen aus den Augen. Sie umarmt ihn und hält ihn ganz fest.
»Du bist nicht Katjas Vater«, flüstert sie in sein Ohr, und als Luka ohnmächtig zu Boden gleitet, kann sie ihn nicht halten, fällt mit ihm und bleibt neben ihm liegen. Auf dem kalten Linoleumboden des Krankenhauses.
In den nächsten Tagen malt und zeichnet Nikola sehr fleißig. Zwar nur Haie und andere Meeresbewohner, aber immerhin. Es entsteht eine dicke Mappe mit wunderbaren Bildern, die so realistisch aussehen, dass man Angst vor den Tieren bekommt und trotzdem ins blau-grüne, lebendige Wasser springen möchte.
Dora nimmt die Mappe und besucht ihren alten Freund Christian, der mittlerweile zwei Galerien in Paris und eine in Berlin hat. In all diesen Jahren haben sie sich nicht oft gesehen, aber wenn, dann mit einem tiefen Gefühl gegenseitiger Sympathie und Zuneigung. Jetzt will Dora Christians professionelle Meinung zu den Bildern ihres Sohnes hören. Sie ist neugierig, ob er den Vater des Jungen darin erkennt.
»Da bist du ja! Es ist wieder eine Ewigkeit her, oder!« Christian umarmt sie herzlich und küsst sie drei Mal. Er sieht gut aus, als wäre er frisch verliebt, was wahrscheinlich auch stimmt: Christian verliebt sich mehrmals im Jahr, oft in eine junge Künstlerin, deren Bilder er dann auch ausstellt, selten mit Erfolg. Daraufhin pflegt er zu sagen, man solle die Kunst und das Geschäft von Herzensangelegenheiten strikt trennen. Bis zum nächsten Mal, natürlich.
»Ja, mon ami, das sagen wir jedes Mal und ändern nie etwas.« Dora lächelt und legt die Hand auf seine Wange, als würde sie ihn tätscheln wollen.
»Wenigstens sehe ich dich regelmäßig auf der Bühne, ich bin bei jeder deiner Premieren dabei und muss dir sagen, ich vergöttere deine Blanche, ich finde sie noch besser als die von Vivien Leigh.«
»Danke, das wäre wirklich etwas!«
»Nun, es ist ja nicht so, als hättest du dafür keinen Preis bekommen, tu nicht so bescheiden, ich kenne dich doch!«
»Dann weißt du auch, dass ich alles andere als bescheiden bin, mein Lieber!«
Und sie lachen vergnügt. Und keiner erwähnt Luka, so wie in all den Jahren zuvor.
»Also zeig, was hast du für mich? Du tust so geheimnisvoll!«
Dora öffnet die Mappe auf dem großen Tisch in Christians Büro, nimmt die Bilder heraus und legt sie nebeneinander. Dann macht sie einen Schritt zurück und lässt Christian Zeit. Die er sich auch nimmt. Reichlich. Einige Zeichnungen und Bilder betrachtet er länger, zu anderen kehrt er zurück. Währenddessen bewegt er die Lippen, als würde er lautlos mit sich selbst sprechen. Sein ganzes Gesicht ist in Bewegung, denkt nach, ist auf Spurensuche, tastet sich langsam voran. In einem Augenblick
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