Jussifs Gesichter
Ein Wort vorweg
Diese Worte muss ich dir schreiben, lieber Leser, um mich im Voraus dafür zu entschuldigen, wenn du dich im Labyrinth der Namen und Persönlichkeitsfälschungen verlieren solltest. Aber wie soll man die Tragödie der Qual beschreiben, in der ich mich viele Jahre befand?
Damals zog ich von einer Stadt in die andere, von einem Hotel ins nächste, von Büro zu Büro, wechselte Arbeitsplätze und Persönlichkeit, legte mir falsche Namen zu – bis ich vergaß, wer ich eigentlich war. Einmal war ich fahnenflüchtig, ein andermal versuchte ich, meine Vorgesetzten zu täuschen, einmal um meiner, Jussifs selbst willen, ein andermal um der Namen willen, die ich zu den meinen gemacht hatte. So geriet ich selbst immer mehr in ein Labyrinth (nachdem die Fälschung zur einzigen, mein Leben bestimmenden Wahrheit geworden war): Ist man mir als Jussif Mani auf den Fersen oder einem anderen, dessen Namen ich trage? Wundere dich nicht, verehrter Leser, dass meine Geschichte eine Hymne auf die » Fälschung « singt! Denn wenn alles zerstört ist und der Tod zur Richtschnur für das Leben der Menschen wird, wenn sich die Angst in jede Faser unseres Lebens einnistet, wenn Verhaftung, Gefängnis, Militarismus, Seuchen und Krankenhäuser überhand nehmen, wenn der Pulverdampf den Himmel verdunkelt und der Krieg zum täglichen Einerlei wird, dann bleibt zur Rettung unseres Lebens nur noch die Flucht in die Fälschung des eigenen Namens. Dies könnte ein Paradebeispiel für den Kampf ums Überleben im Strudel der Angst sein.
Meine Erzählung ist eine Sammlung von gefälschten oder angeeigneten Geschichten: der Geschichte Jussifs, der Geschichte Junis’, der Geschichte Harun Walis, der Geschichte Josef Karmalis oder Josef K.s, der Geschichte Mariams, der Frau Junis’, der Geschichte der blinden Tante, der Geschichte des verrückten, arrakversoffenen Onkels ’Assim, der Geschichte des kleinen Mädchens Sarab, Fata Morgana, der Geschichte der Ehefrau Sarab, der Geschichte des kleinen Mädchens Sarab, das beobachtete, wie Jussif, von einem Schuss getroffen, niederfällt, der Geschichte des Erzähler-Arztes, der mir am Ende ähnlich wird ... Meine Erzählung ist auch die Geschichte der Mekka-Bar, die zu einer heiligen Gebetsnische für all jene enttäuschten Existenzen wird, die den Tisch der Hoffnungslosigkeit miteinander teilen.
Man sagt, die Katze habe sieben Leben und nehme mit jedem Leben eine neue Gestalt an. Und ich? Wie viele verwirrende Gestalten haben mir ein neues Leben gegeben? Wie viele gefälschte Namen gingen mir voraus? In wie vielen Geschichten wird mein Bild gepriesen? Wie handelt jemand wie ich, der die Angst von Kindheit an als tägliche Begleiterin kennt? Wie handelt jemand wie ich, dem der Bruder (der Henker) die von ihm gewünschte Persönlichkeit aufdrückt, dieser Bruder, der ihn so früh zum Mörder abstempeln lässt? Wie handelt jemand wie ich, wenn die Verwirrungen mit zunehmendem Alter immer größer werden, wenn es ihn nicht mehr interessiert, zu welchen Wurzeln, zu welchem Stamm, zu welchem Clan, zu welchem Volk er zurückkehrt?
Ja, lieber Leser, so sieht es aus in Zeiten von Diktatur und Gewalt, in Zeiten von Besatzung und Kriegen, in Zeiten totaler Zerstörung. Dem Einzelnen bleibt nichts anderes übrig, als sich Geschichten zu eigen zu machen, von denen er glaubt, sie gehörten ihm. Auf diese Weise vergehen » fünfunddreißig Jahre « , Jahre der Willkür und der Gewaltherrschaft, Jahre des schwarzen Urteils. Im Land der Gedemütigten und der Siegreichen, der sich selbst Besiegenden, aber auch Jahre, in denen man sich wünscht, mit seiner gelebten, für sich erfundenen Wahrheit in Einklang zu sein, um die eigene Haut vor dem Vorwurf des Verrats an der eigenen Person oder an einem Nahestehenden zu retten, geheimnisvolle Jahre, die in ihrer Rätselhaftigkeit dem » geheimnisvollen « Land ähneln.
In unserem Land ist jeder Mensch die Quintessenz des Geheimnisses, das er in sich birgt. Und zwar nicht nur im Irak der Vergangenheit, sondern auch in dem der Gegenwart. Meine Geschichte beginnt und endet an einem Ort: in meinem Haus in Bagdad. Ich beschreibe meinen täglichen Weg durch diese Stadt, an ihren verlorenen historischen Stätten vorbei, die da sind: das Bab al-Mu’adhdham, die Raschid-Straße, das Hafiz-al-Qadi-Viertel, die Chajjam-Straße, der Museumsplatz, Kadhimijja, das Arosdibbek, das Kino, die Bars, besonders die Mekka-Bar, das historische Bagdad, nicht das gegenwärtige
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