Jeden Tag wurde ich dicker und müder: Mein Leben mit Hashimoto (German Edition)
Das war gar nicht so weit hergeholt. Schließlich bin ich im Badischen aufgewachsen, in einem Dreitausend-Seelen-Dorf, das praktisch direkt am Rhein und damit mitten in den Auen liegt. Im Sommer wimmelt es da nur so von Stechmücken, und die können – so weiß man heute – auch auf den Menschen Borreliose übertragen. Ich war erleichtert, endlich ein Anhaltspunkt! Wochenlang bekam ich jetzt von montags bis freitags Infusionen: ein spezielles Antibiotikum, B-Vitamine, Magnesium und Spurenelemente. Mehr als eine Stunde dauerte die Prozedur jedes Mal. Seit diesen Tagen bin ich mit den Arzthelferinnen in der Praxis meines Hausarztes per Du. Ich sah sie in der Zeit ja öfter als meine Freundinnen.
Als ich über Pfingsten, wie jedes Jahr, mit meinen Eltern und meinem Mann nach Sylt fuhr, bekam ich von meinem Arzt eine große Tüte mit allen Medikamenten für die Infusionen mit. Und so marschierte ich am ersten Tag unseres Aufenthaltes in die Nordseeklinik in Westerland, wo mich die hiesigen Schwestern mit großen Augen anstarrten. Eine Ärztin erbarmte sich dann meiner und kam meiner Bitte nach, mir die Flüssigkeiten intravenös einzuflößen. Während meine Familie frühstückte, lag ich auf der Bahre und starrte an die triste Krankenhausdecke. Toller Urlaub! Aber auch das ging vorbei ...
Als man an meinen Armen keinen Infusionszugang mehr legen konnte, weil alle Venen vernarbt waren, beschlossen mein Arzt und ich, dass es jetzt genug sei. Leider waren die Beschwerden keineswegs verschwunden.
Um die Borreliose-Theorie aber trotzdem zu überprüfen, wurde mir von einem Neurologen Nervenwasser an der Wirbelsäule in Höhe des Lendenwirbels entnommen, eine sogenannte Lumbalpunktion. Obwohl sich das sehr unschön anhört, war der Eingriff selbst eher unproblematisch und komplett schmerzlos. Die Vorstellung allein, was der nette Doktor da hinten an meinem Rücken so anstellte, ließ mich trotzdem erschaudern. Dabei ahnte ich noch nicht, was mich einen Tag später heimsuchen sollte: die schlimmsten Kopfschmerzen meines Lebens. Und die blieben fast eine Woche! Im Liegen ging es mir ganz gut, aber sobald ich aufstand, wurde mir schwindelig und übel. Es fühlte sich an, als ob sich mein Gehirn an der Schädeldecke festsaugen würde. Ich schaffte es gerade zur Toilette und zurück. Mehr war nicht drin.
Nach drei Tagen in der Waagerechten schleppte ich mich todesmutig in einen Flieger nach München. Seit Wochen waren Dreharbeiten bei Gundis Zámbó zu Hause geplant. Wegen der Vulkanaschewolke und des daraus resultierenden Flugverbots hatte ich den Termin zuvor schon einmal absagen müssen. Das konnte ich kein zweites Mal bringen. Aber es war die Hölle! Im Taxi vom Flughafen zu Gundis’ Villa in Grünwald flehte ich den Neurologen am Handy an, mir Linderung zu verschaffen. Er faxte ein Rezept für extra starke Schmerztropfen an eine Apotheke, die auf dem Weg lag. Ich nahm gleich die doppelte Dosis – und hatte für knapp eine Stunde Ruhe. Immerhin. Auf dem Rückweg zum Flughafen kurbelte ich den Beifahrersitz im Auto des Tonassistenten so runter, dass ich fast flach lag. Der dachte auch, die Blumhagen spinnt. Aber was soll’s: Nur so konnte ich die Stunde Fahrt einigermaßen beschwerdefrei überstehen.
Der absolute Tiefpunkt
Das Nervenwasser war top, keine Borreliose, keine Diagnose, nichts. Der Neurologe, der die Untersuchung durchgeführt hatte, beugte sich zu mir her, schaute mir etwas herablassend in die Augen und sagte fast ein bisschen mitleidsvoll: »Frau Blumhagen, Sie sind absolut gesund. Da ist nichts! Fahren Sie in Urlaub. Spannen Sie mal richtig aus und hören Sie auf, nach etwas zu suchen, was nicht da ist.« Ich spürte, wie sich Entsetzen in mir breitmachte. Wollte dieser Schnösel mir etwa erzählen, dass ich mir alles nur einbilde? Wollte er mir sagen, dass ich spinne? Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich war so wütend, ich hätte platzen können! Stattdessen schnappte ich meine Tasche, stand wortlos auf und verließ eilends die Praxis. Im Treppenhaus machte sich das Gefühlschaos in mir Luft. Tränen liefen mir übers Gesicht, ich prustete, hustete, schimpfte laut. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich mich wieder gefangen hatte. In mir war die totale Leere. Ich fühlte mich ausgebrannt. Damit stand ich wieder am Anfang meiner Suche. Ich hätte einfach zusammenbrechen können auf dieser Treppe, in dem schicken Ärztehaus mitten in der Hamburger Innenstadt. Wieder umsonst gehofft. Und wieder ein
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