Jeder kann mal Robin sein
zugeschaut habe.
Die Tage bis zu Omas Abreise vergingen wie im Flug. Sie nahm Lilly immer wieder auf den Schoß und schmuste mit ihr. Der Abschied fiel ihr nicht leicht. Aber sie freute sich auf zu Hause, wenn sie auch versuchte, es sich nicht allzusehr anmerken zu lassen.
Als sie gerade ihren Koffer packte - Tine war noch in der Schule -, zog Gisela sie zu Max’ Zimmer und legte den Zeigefinger auf die Lippen. Max stülpte Lilly seinen Cowboyhut auf den Kopf. Sie stand ganz still und ließ es sich gefallen. Und dann nahm sie den Hut und setzte ihn Max wieder auf. Das wiederholten sie eine Weile, bis Max »Aufs Pferd!« rief und davonritt.
Die Klingel bei Kochs ging den ganzen Tag. Robinianer wie Astros erkundigten sich nach »Ellen«. Und Herr Dressier stand mehrmals mit Wäsche und Kleidern von Lilly überm Arm vor der Tür. Am Tag, bevor er wieder auf Fahrt mußte, kam er mit einem riesigen lila Elefanten an. Oma führte ihn ins Kinderzimmer, und er drückte seiner Toch-ter den Elefanten einfach in den Arm. Das Plüschtier war fast so groß wie das Kind, und Lilly stand stumm da und wußte nicht, was sie mit dem Riesending anfangen sollte. Da stellte Max den Elefanten auf alle viere und setzte Lilly drauf. So machte man das! Aber Herr Dressier war schon wieder an der Tür.
Bei Omas Abreise winkten Judy, Veronica, Ede, Martin, Klaus und Paul hinter dem Auto her, in dem die Familie Koch Oma zum Bahnhof brachte. Es war eng im Auto, weil der lila Elefant soviel Platz einnahm.
Später, als Oma aus dem Abteilfenster schaute, schwenkten alle ihre Taschentücher, dem anfahrenden Zug nach. Auch Lilly winkte. Dann öffnete sie die Lippen und sagte: »Oma!« Da winkte Oma so heftig zurück, daß ihr das Taschentuch davonflatterte.
Max rannte hinterher, und als er es endlich erwischt hatte, sah er gerade noch den letzten Wagen aus dem Bahnhof fahren. Wie ein Drache, dachte er, als er die Schlußlichter leuchten sah. Ein Drache mit glühenden Augen. So einer müßte mal nach Greenwood kommen!
Nachbemerkung
Was kann man tun, wenn man erfährt oder auch nur vermutet, daß in der Nachbarschaft ein Kind vernachlässigt oder mißhandelt wird? Oma Teichmann und ihre Enkelin Tine in diesem Buch gehen zur Familienberatung im Jugendamt. Eine andere zuständige Abteilung der Stadtverwaltung ist der Allgemeine Sozialdienst. In vielen Städten gibt es auch den »Kindernotdienst« - Notrufnummern für Kinder und Jugendliche in Problemsituationen.
Es gibt aber auch noch eine Reihe von Vereinen und Privatinitiativen, die mit den Jugendämtern Zusammenarbeiten und oft schneller und unbürokratischer helfen können. Die wohl wichtigste Adresse ist der »Kinderschutzbund e. V.« mit dem »Kinder- und Jugendtelefon«. Oder »Kinder- und Mutterschutz e. V.« mit den Abteilungen »Offene Jugendhilfe / Betreutes Wohnen / Sozialpädagogische Familienhilfe«.
Adressen und Telefonnummern erfährt man jeweils über die Auskunft oder aus dem Telefonbuch. Häufig gibt es auch Aushänge in Ämtern und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Kinderschutzvereine gehen vorsichtig allen Hinweisen nach, wenn es möglich ist, ohne die Polizei einzuschalten. Sie bemühen sich auch, den Eltern mißhandelter Kinder zu helfen, ihr Verhalten zu ändern. Denn darin sind sich alle einig, die für das Wohl und die Rechte von Kindern arbeiten: Eine endgültige Trennung von der Familie darf nur der letzte Schritt sein, wenn alle Schutzmaßnahmen versagen.
Jeder kann sich sachkundige Hilfe holen, gerade auch, wenn man Angst hat, die Situation nicht richtig einzuschätzen. Man sollte nicht warten, bis es für ein »Kind in Not« zu spät ist.
Die Autorin
Lotte Betke wurde in Hamburg geboren. Als 18jährige ging sie zum Theater und spielte in Berlin bei Gründgens und Fehling. Später zog sie mit ihrem Mann, einem Musiker, nach Stuttgart, wo sie auch heute noch lebt. Lotte Betke hat viele Kinder- und Jugendbücher geschrieben, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. »Lied der Sumpfgänger« und »Lampen am Kanal« kamen auf die Auswahlliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis. Außerdem schreibt sie Gedichte, Theaterstücke und Hörspiele für Kinder und Erwachsene und Romane. 1986 wurde sie mit dem Marlen-Haushofer-Preis ausgezeichnet.
Ihre Bücher im Erika Klopp Verlag:
»Herbstwind« und »Jeder kann mal Robin sein«.
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