Jeder kann mal Robin sein
Reihe. Los, Tine, berichte!«
Tine holte tief Luft und strich sich das Haar aus der Stirn. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Es war alles ziemlich schwierig.«
»Hat Lillys Vater mit deinen Eltern gestritten?«
»Nein, das nicht. Aber sie haben soviel Formalitätenzeug besprochen. Und Frau Beck immer dazwischen. Ich hab gar nicht alles verstanden. Oma«, sie hängte sich bei der Großmutter ein, »erzähl du. Du kannst das besser.«
Oma zog ihr Umhängetuch über der Brust zusammen. »Hier im Nebel? Ne, Kinder, ich schlotter ja jetzt schon.«
»Los, in den Hobbyraum!« Schon stapfte Ede vor den anderen her. »Hab ich doch gleich gesagt.«
Oma setzte sich behaglich in einen Korbsessel und schob die Füße näher an einen kleinen Heizlüfter, den Ede aus dem elterlichen Keller herbeigeschleppt hatte. »Hier ist es ja richtig gemütlich.«
Max hockte auf der Tischtennisplatte und baumelte ungeduldig mit den Füßen. »Los, Oma. Fang doch endlich an!«
Oma hob die Schultern. »Na ja, Kinder, so schnell geht das nicht. Da ist noch allerhand zu tun.«
»Aber Max hat doch gesagt, wir kriegen sie.« Judy schwenkte ihre Haare in den Nacken. »Ich dachte, nun ist alles in Ordnung.«
»Das ist es auch«, bestätigte Oma. »Wenigstens für die nächsten Wochen.« Sie beugte sich vor. »Überleg doch mal, Judy, ehe ein Kind auf Dauer in eine neue Familie kommt, muß alles mögliche geregelt werden. Was ist zum Beispiel, wenn Lillys Vater von seinen Fahrten nach Hause kommt?«
»Dann will er Lilly vielleicht sehen. Aber ob Lilly das auch will?«
»Eben. Das ist eine Sache. Die andere ist, daß Lilly nicht redet. Sie braucht Behandlung, vielleicht in einer Therapiegruppe für Kinder. Und auch Tines und Max’ Eltern müssen sich beraten lassen, wie sie Lilly am besten helfen können.«
»Das wissen meine Eltern von allein«, warf Max ein.
Aber Oma schüttelte den Kopf. »Stell dir das nicht zu einfach vor. Und noch etwas: Man muß damit rechnen, daß Lillys Mutter eines Tages wiederauftaucht.«
»Feine Mutter«, rief Paul. »Die soll sich hier bloß nicht wieder blicken lassen.«
»Das darfst du nicht sagen, Paul. Wir wissen doch gar nicht, was in der Nachbarwohnung los war. Der Mann dauernd unterwegs. Die Frau immer allein mit dem Kind. Wahrscheinlich war sie früher selbst berufstätig, und nun ...«
»... ist ihr die Decke auf den Kopf gefallen?« unterbrach Martin.
»So kann man es vielleicht sagen.«
»Ach, was geht uns das alles an«, rief Judy. »Hauptsache, Lilly sitzt bei uns im Nest.«
»Das sagst du so«, wandte Martin ein. »Wer weiß denn, ob sie überhaupt rein will?«
»Doch, sie will.« Max sprang von der Tischtennisplatte und kletterte auf Omas Schoß. »Frau Beck hat sie gefragt. Und da ist sie gleich auf uns los.«
»Wer sagt’s denn!« rief Klaus. »Judy hat recht, das ist wirklich die Hauptsache. Wir alle zusammen werden Lilly schon wieder hinkriegen.«
»Glaubt ihr«, meldete sich Kalli, »daß Lilly mit auf den Weihnachtsmarkt kann? Ich hab zu Hause alles erzählt. Meine Eltern laden euch übermorgen alle in unsere Vorstellung ein. Um fünfzehn Uhr, da ist es nicht so voll, und wir haben noch Karten übrig. Meine Mutter sagt, Feuer schlucken wäre nichts für so ein Kind. Aber meine Nummer kann sie sehen, die ist zum Lachen. Und wenn mein Vater Feuer schluckt, kann sie ja die Augen zumachen.«
Alle strahlten. »Robinianer und Astros, sind alle dabei?« fragte Judy.
»Na klar«, kam es wie aus einem Mund.
Zwei Tage später nahmen Gisela und Oma Lilly an die Hand und machten sich auf den Weg zum Weihnachtsmarkt, gefolgt von den Robinianern und einem Haufen Astros. Auch Paul war dabei. Er hatte seine Nachfolgerin in aller Form gebeten, wieder bei Robin Hoods Räubern aufgenommen zu werden.
Sie füllten die halbe Bude des Feuerschluckers. Und es lohnte sich. So eine tolle Vorstellung hatten sie noch nicht erlebt. Kallis Mutter tanzte wie sieben Spanierinnen, ihre Füße stampften den Takt, die Kastagnetten knallten. Kallis Vater schlug dazu die Laute und sang.
Lilly wandte kein Auge von der kleinen Bühne, und ihre Wangen wurden ganz rosa. Nach Kallis Nummer klatschten die Robinianer und Astros, bis ihnen die Hände weh taten. Und als der Feuerschlucker an die Reihe kam, wollte Oma leise mit Lilly die Bude verlassen, aber sie machte sich steif und schüttelte den Kopf. Oma erzählte Peter am Abend immer wieder, mit welch glänzenden Augen das Kind dem Spiel mit dem Feuer
Weitere Kostenlose Bücher