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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Er liest ein paar Worte, die fettgedruckte Überschrift: «Im Namen des deutschen Volkes», dann drei Namen und: «wurden wegen Landes-und Hochverrates zum Tode durch den Strang verurteilt. Die Hinrichtung wurde heute morgen in der Strafanstalt Plötzensee voll-zogen.»
    Ganz unwillkürlich hat er mit beiden Händen die Trudel gefaßt und sie so weit zur Seite geführt, daß sie nicht mehr vor dem Plakat steht. «Wieso?» hat sie erst überrascht gefragt, dann sind ihre Augen dem Blick der seinen gefolgt, und sie liest auch das Plakat. Sie gibt einen Laut von sich, der alles bedeuten kann: Protest gegen das Gele-sene, Ablehnung von Quangels Tun, Gleichgültigkeit, aber jedenfalls kehrt sie nicht an den alten Platz zurück.
    Sie sagt und steckt den Kalender wieder in die Tasche:
    «Heute abend geht's unmöglich, Vater, aber morgen werde ich gegen acht bei euch sein.»
    «Es muß aber heute abend gehen, Trudel!» widerspricht Otto Quangel. «Es ist Nachricht gekommen über Otto.»
    Sein Blick ist noch schärfer geworden, er sieht, wie das Lachen aus ihrem Blick schwindet. «Der Otto ist nämlich gefallen, Trudel!»
    Es ist seltsam, derselbe Laut, den Otto Quangel bei dieser Nachricht von sich gegeben hat, kommt jetzt aus Trudels Brust, ein tiefes «Oh ...!» Einen Augenblick sieht sie den Mann mit schwimmenden Augen an, ihre Lippen zittern; dann wendet sie das Gesicht zur Wand, sie lehnt ihre Stirn gegen sie. Sie weint, aber sie weint lautlos. Quangel sieht wohl ihre Schultern beben, aber er hört keinen Laut.
    Tapferes Mädel! denkt er. Wie sie doch am Otto gehangen hat! In seiner Art ist er auch tapfer gewesen, hat nie mit diesen Scheißkerlen mitgemacht, hat sich nicht von der HJ gegen seine Eltern aufhetzen lassen, war immer gegen das Soldatenspielen und gegen den Krieg. Dieser verdammte Krieg!
    Er hält inne, erschrocken über das, was er da eben gedacht hat. Verändert er sich nun auch schon? Das war ja eben beinahe so etwas wie Annas «Du und dein Hitler!»
    Dann sieht er, daß Trudel mit der Stirn nun grade gegen jenes Plakat lehnt, von dem er sie eben erst fortgezogen hat. Über ihrem Kopf steht in Fettschrift zu lesen: «Im Namen des deutschen Volkes», ihre Stirn verdeckt die Namen der drei Gehängten .
    Und wie eine Vision steigt es vor ihm auf, daß eines Tages solch ein Plakat mit den Namen von ihm und Anna und Trudel an den Wänden kleben könnte. Er schüttelt unmutig den Kopf. Er ist ein einfacher Handarbeiter, der nur seine Ruhe haben und nichts von Politik wissen will, Anna kümmert sich nur um ihren Haushalt, und solch ein bildhübsches Mädel wie die Trudel dort wird bald einen neuen Freund gefunden haben .
    Aber die Vision ist hartnäckig, sie bleibt. Unsere Namen an der Wand, denkt er, nun völlig verwirrt. Und warum nicht? Am Galgen hängen ist auch nicht schlimmer, als von einer Granate zerrissen zu werden oder am Bauch-schuß krepieren! Das alles ist nicht wichtig. Was allein wichtig ist, das ist das: Ich muß rauskriegen, was das mit dem Hitler ist. Plötzlich sehe ich nur Unterdrückung und Haß und Zwang und Leid, so viel Leid ... Ein paar Tausend, hat dieser feige Spitzel, der Borkhausen, gesagt. Als wenn es auf die Zahl ankäme! Wenn nur ein einziger Mensch ungerecht leidet, und ich kann es ändern, und ich tue es nicht, bloß weil ich feige bin und meine Ruhe zu sehr liebe,
    dann .
    Hier wagt er nicht, weiterzudenken. Er hat Angst, richtig Angst davor, wohin ihn ein solcher zu Ende gedachter Gedanke führen kann. Sein Leben müßte er dann ändern!
    Statt dessen starrt er wieder auf das Mädchen, über dessen Kopf «Im Namen des deutschen Volkes» zu lesen ist.
    Nicht grade gegen dieses Plakat gelehnt sollte sie weinen.
    Er kann der Versuchung nicht widerstehen, er dreht ihre Schultern von der Wand fort und sagt, so sanft er kann:
    «Komm, Trudel, nicht gegen dieses Plakat ...»
    Einen Augenblick starrt sie die gedruckten Worte verständnislos an. Ihr Auge ist schon wieder trocken, ihre Schultern beben nicht mehr. Dann kommt Leben in ihren Blick, nicht das alte, frohe Leuchten, mit dem sie diesen Gang betreten, sondern etwas dunkel Glühendes. Sie legt ihre Hand fest und doch zärtlich an die Stelle, wo das Wort
    «gehängt» steht. «Ich werd nie vergessen, Vater», sagt sie,
    «daß ich grade vor so einem Plakat wegen Otto geheult habe. Vielleicht - ich möcht's nicht -, aber vielleicht wird auch mal mein Name auf so einem Wisch stehen.»
    Sie starrt ihn an. Er hat das Gefühl, sie

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