Jeder stirbt für sich allein
Borkhausen zu fühlen.
Darum geht Borkhausen auch schnell, sobald er ein bißchen gegessen hat. Er will den Freier um Gottes willen nicht vergraulen! Das Gute ist, daß er nun die ganzen
zwanzig Mark für sich behalten kann. Borkhausen richtet seine Schritte nach der Rollerstraße; er hat von einer Kneipe dort gehört, wo die Leute besonders leichtsinnig reden sollen. Vielleicht läßt sich da was machen. Man kann jetzt in Berlin überall Fische fangen. Und wenn nicht bei Tage, dann bei Nacht.
Wenn Borkhausen an die Nacht denkt, zuckt es immer wie Lachen hinter seinem lose herabhängenden Schnurrbart. Dieser Baldur Persicke, alle diese Persickes, was für
'ne Bande! Aber ihn sollen sie nicht für dumm verkaufen, ihn nicht! Sie sollen bloß nicht glauben, bei ihm ist es mit zwanzig Mark und zwei Schnäpsen getan. Vielleicht kommt noch mal die Zeit, wo er alle diese Persickes in die Tasche steckt. Er muß jetzt nur schlau sein.
Dabei fällt Borkhausen ein, daß er noch vor der Nacht einen gewissen Enno finden muß. Enno ist vielleicht der richtige Mann für so was. Aber keine Angst, den Enno findet er schon. Der macht täglich seine Runde durch nur drei oder vier Lokale, wo die kleinen Rennwetter verkehren. Wie dieser Enno wirklich heißt, das weiß Borkhausen nicht. Er kennt ihn nur aus den paar Lokalen, wo ihn alle Enno rufen. Er wird ihn schon finden, und er wird vielleicht sogar der richtige Mann sein.
Trudel Baumann verrät ein Geheimnis
So leicht Otto Quangel auch in die Fabrik gekommen war, so schwer war es zu erreichen, daß die Trudel Baumann zu ihm herausgerufen wurde. Sie arbeiteten hier nämlich
- übrigens genau wie in Quangels Fabrik - nicht nur im Akkord, sondern jede Arbeitsstube mußte auch ein bestimmtes Pensum schaffen, da kam es oft auf jede Minute an.
Aber schließlich kommt Quangel doch zum Ziel, schließlich ist der andere genauso ein Werkmeister wie er selbst. Man kann einem Kollegen so was schlecht abschlagen, besonders wenn grade der Sohn gefallen ist. Das hat Quangel nun doch sagen müssen, bloß um die Trudel zu sehen zu kriegen. Daraus folgt, daß er's ihr auch selber sagen muß, gegen die Bitte der Frau, sonst würde es ihr der Werkmeister erzählen. Hoffentlich gibt's kein Geschrei und vor allem keine Umfallerei. Eigentlich ein Wunder, wie die Anna sich gehalten hat - nun, die Trudel steht auch auf festen Beinen.
Da kommt sie endlich, und Quangel, der nie ein anderes
Verhältnis als das zu seiner Frau gehabt hat, muß sich gestehen, daß sie reizend aussieht mit ihrem Wuschelkopf dunkler, plustriger Haare, dem runden Gesicht, dem keine Fabrikarbeit die frischen Farben hat nehmen können, mit den lachenden Augen und der hohen Brust. Selbst jetzt, wo sie wegen der Arbeit lange blaue Hosen trägt und einen alten, vielfach gestopften Jumper, der voll von Garn-resten hängt, selbst jetzt sieht sie reizend aus. Das Schönste an ihr ist aber vielleicht ihre Art, sich zu bewegen, alles sprüht von Leben, jeden Schritt scheint sie gerne zu tun: sie quillt über vor Lebensfreude.
Ein Wunder eigentlich, denkt Otto Quangel flüchtig, daß solch eine Trantute wie der Otto, so ein von der Mutter verpimpeltes Söhnchen, sich solch ein Prachtmädel einhandeln konnte. Aber, verbessert er sich gleich, was weiß ich denn vom Otto? Ich habe ihn ja nie richtig gesehen. Er muß ganz anders gewesen sein, wie ich gedacht habe. Und mit den Radios hat er wirklich was losgehabt, die Meister haben sich doch alle um ihn gerissen.
«Tag, Trudel», sagt er und gibt ihr seine Hand, in die rasch und kräftig ihre warme, mollige schlüpft.
«Tag, Vater», antwortet sie. «Nun, was ist los bei euch zu Haus? Hat Muttchen mal wieder Sehnsucht nach mir, oder hat Otto geschrieben? Ich will sehen, daß ich möglichst bald mal bei euch reinschaue.»
«Es muß schon heute abend sein, Trudel», sagt Otto Quangel. «Die Sache ist nämlich die ...»
Aber er spricht seinen Satz nicht zu Ende. Trudel ist in ihrer raschen Art schon in die Tasche der blauen Hose gefahren und hat einen Taschenkalender hervorgeholt, in dem sie jetzt blättert. Sie hört nur mit halbem Ohr zu, nicht der richtige Augenblick, um ihr so was zu sagen. So wartet denn Quangel geduldig, bis sie gefunden hat, was sie sucht.
Diese Zusammenkunft der beiden findet in einem langen, zugigen Gange statt, dessen getünchte Wände ganz vollgepflastert mit Plakaten sind. Unwillkürlich fällt Quangels Blick auf ein Plakat, das schräg hinter Trudel hängt.
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