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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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haben für die Koliken. Man kann bloß. Ich habe mir alles genau erklären lassen. Das klappt schon. Bloß daß ich erst diese zehn Tage arbeiten muß.»
    Sie antwortete wieder mit keinem Wort, und er fuhr fort, denn er glaubte daran, daß man den Leuten ein Loch in den Bauch reden kann, daß sie schließlich doch nachgeben, wenn man nur beharrlich genug ist. «Ich habe auch die Adresse von 'nem Arzt in der Frankfurter Allee, der schreibt jeden krank, wenn man will, bloß daß er keine Schwierigkeiten hat mit den Leuten. Mit dem schaff ich's: in
    zehn Tagen bin ich wieder im Krankenhaus, und du bist mich los, Evchen!»
    Sie sagte, müde all dieses Geschwätzes: «Und wenn du bis Mitternacht hier stehst und redest, ich nehm dich doch nicht wieder auf, Enno. Ich tu's nie wieder, du kannst sagen, was du willst, und du kannst tun, was du willst. Ich laß mir nicht wieder alles kaputtmachen von dir und deiner Arbeitsscheu und deiner Rennwetterei und deinen gemeinen Weibern. Ich hab's dreimal erlebt und das vierte Mal und noch mal und noch mal, und nun hat's geschnappt bei mir, nun ist es alle! Ich setze mich hier auf die Treppe, ich bin nämlich müde, seit sechs bin ich auf den Beinen. Wenn du willst, setz dich dazu. Wenn du magst, rede, wenn du nicht magst, halt den Mund, mir ist alles egal. Aber in die Wohnung kommst du mir nicht!»
    Sie hatte sich wirklich auf die Treppenstufe gesetzt, auf die gleiche Stufe, die vorher sein Warteplatz gewesen war.
    Und ihre Worte hatten so entschlossen geklungen, daß er fühlte, diesmal half auch alles Reden nichts. So rückte er denn seine Jockeimütze ein wenig schief und sagte: «Na denn, Evchen, wenn du durchaus nicht willst, wenn du mir nicht mal so 'nen kleinen Gefallen tun willst, wo du weißt, dein Mann ist in Not, mit dem du fünf Kinder gehabt hast, und drei liegen auf dem Kirchhof, und zwei Jungen kämpfen für Führer und Volk ...» Er brach ab, er hatte ganz maschinenmäßig so vor sich hin geredet, weil er das
    Immerweiterreden aus den Kneipen gewohnt war, obwohl er doch begriffen hatte, hier war jedes Reden zwecklos. «Also, ich geh denn jetzt, Evchen. Und daß du's weißt, ich nehm dir nichts übel, das weißt du, ich mag sein, wie ich will, übelnehmen tu ich nichts.»
    «Weil dir alles gleichgültig ist bis auf deine Rennwetterei», antwortete sie nun doch. «Weil dich sonst nichts auf der Welt interessiert, weil du nichts und keinen gern haben kannst, nicht einmal dich selbst, Enno.» Aber sie brach sofort wieder ab, es war so nutzlos, mit diesem Mann zu sprechen. Sie wartete eine Weile, dann sagte sie:
    «Aber ich denke, du wolltest gehen, Enno?»
    «Jetzt geh ich, Evchen», sagte er ganz überraschend.
    «Mach's gut. Ich nehm dir nichts übel. Heil Hitler, Evchen!»
    Sie war immer noch fest davon überzeugt, daß dieses Abschiednehmen nur eine Finte von ihm war, bloß die Einleitung zu neuem, endlosem Gerede. Aber zu ihrer grenzenlosen Überraschung sagte er wirklich nichts mehr, sondern fing an, die Treppe hinabzusteigen.
    Eine, zwei Minuten saß sie noch wie betäubt auf der Stufe, sie konnte noch nicht an ihren Sieg glauben. Dann sprang sie auf und lauschte ins Treppenhaus. Sie hörte deutlich seinen Schritt auf der untersten Treppe, er hatte sich nicht versteckt, er ging wirklich! Nun klappte die Haustür. Mit zitternder Hand schloß sie die Tür auf; sie war so erregt, daß sie zuerst das Schlüsselloch nicht finden konnte. Als sie drinnen war, legte sie die Kette vor und sank auf einen Küchenstuhl. Die Glieder hingen ihr runter, dieser Kampf eben hatte die letzte Kraft aus ihr gepumpt. Sie hatte keinen Mumm mehr in den Knochen, jetzt hätte sie einer nur mit einem Finger anstoßen müssen, sie wäre glatt vom Küchenstuhl gerutscht.
    Aber allmählich, wie sie dort hockte, kehrten Kraft und Leben in sie zurück. So hatte sie es denn auch einmal geschafft, ihr Wille hatte seine sture Hartnäckigkeit bezwungen. Sie hatte ihr Heim für sich behalten, für sich ganz allein. Er würde da nicht wieder rumsitzen, endlos von seinen Pferden reden und ihr jede Mark und jeden Kanten Brot stehlen, den er nur erwischen konnte.
    Sie sprang auf, von neuem Lebensmut erfüllt. Dieses Stückchen Leben war ihr verblieben. Nach dem endlosen Dienst auf der Post brauchte sie diese paar Stunden hier für sich allein. Der Bestellgang fiel ihr schwer, sehr schwer, immer schwerer. Sie hatte schon früher mit dem Unterleib zu tun gehabt, nicht umsonst lagen die drei Jüngsten auf dem

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