Jeder stirbt für sich allein
immer zu gutmütig gewesen, das ist mein Hauptfehler! Holt dieses Schwein, den Quangel, rauf! Er soll sich die Sauerei hier ansehen, er kann sie wegmachen!»
So verschaffte der einzige von Otto Quangel Bekehrte dem alten Werkmeister noch ein paar schwere Nachtstun-den.
Vierter Teil Das Ende
Anna Quangel im Verhör
Es war vierzehn Tage nach der Verhaftung bei einem der ersten Verhöre von Anna Quangel, die wieder gesund geworden war, als sich Anna entschlüpfen ließ, daß ihr Sohn Otto einmal mit einer gewissen Trudel Baumann verlobt gewesen war. Zu jener Zeit hatte Anna es noch nicht er-faßt, daß jede Namensnennung gefährlich war, gefährlich für den Genannten. Denn mit einer pedantischen Genauigkeit wurde der Bekannten-und Freundeskreis jedes Verhafteten nachgeprüft, jeder Spur wurde nachgegan-gen, damit «die Eiterbeule auch ganz ausgebrannt» werde.
Der Vernehmende, der Kommissar Laub, der Nachfolger Escherichs, ein kurzer, gedrungener Mann, der es liebte, seine knochigen Finger wie eine Peitsche dem Vernommenen ins Gesicht zu schlagen, war nach seiner Gewohnheit erst über diese Mitteilung, ohne von ihr Notiz zu nehmen, weggegangen. Er fragte Anna Quangel lange und tödlich ermüdend über die Freunde und Arbeitgeber des Sohnes aus, fragte Dinge, die sie nicht wissen konnte, aber wissen sollte, fragte und fragte, und dazwischen peitschte er ihr rasch einmal die Finger ins Gesicht.
Kommissar Laub war ein Meister in der Kunst solcher Vernehmungen, ohne Ablösung hielt er es zehn Stunden aus, so mußte es die Vernommene auch aushalten. Anna Quangel schwankte auf ihrem Schemel vor Müdigkeit.
Die kaum überstandene Krankheit, die Angst um das Schicksal Ottos, von dem sie nichts wieder gehört hatte, die Schmach, wie ein unaufmerksames Schulkind geschlagen zu werden, all dies machte sie zerstreut, unaufmerksam, und wieder schlug Kommissar Laub zu.
Anna Quangel ächzte leise und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
«Nehmen Sie die Hände runter!» rief der Kommissar.
«Sehen Sie mich an! Na, wird's bald?»
Sie tat es, sie sah ihn an mit einem Blick, in dem Angst war. Aber nicht vor ihm, sondern Angst, sie könne schwach werden.
«Wann haben Sie diese sogenannte Braut Ihres Sohnes zum letztenmal gesehen?»
«Das ist sehr lange her. Ich weiß doch nicht. Schon seit wir die Karten schreiben. Über zwei Jahre ... Oh, schlagen Sie nicht schon wieder! Denken Sie an Ihre eigene Mutter! Sie möchten auch nicht, daß Ihre Mutter geschlagen wird.»
Zwei, drei Schläge trafen sie kurz hintereinander.
«Meine Mutter ist kein hochverräterisches Aas wie Sie!
Nennen Sie noch einmal meine Mutter, und ich werde Ihnen zeigen, wie ich schlagen kann! Wo hat dies Mädchen gewohnt?»
«Ich weiß doch nicht! Mein Mann hat mir mal gesagt, sie hat seitdem geheiratet! Sie wird sicher weggezogen sein.»
«So, Ihr Mann hat sie also gesehen? Wann war das?»
«Ich weiß nicht mehr! Da schrieben wir schon die Karten.»
«Und sie hat mitgemacht, was? Hat sie dabei geholfen?»
«Nein! Nein!» rief Frau Quangel. Mit Schrecken sah sie, was sie angerichtet hatte. «Mein Mann», sagte sie eilig, «hat die Trudel bloß auf der Straße getroffen. Da hat sie ihm erzählt, daß sie geheiratet hat und nicht mehr in die Fabrik geht.»
«Na - und weiter? In welche Fabrik ist sie denn gegangen?»
Frau Quangel nannte die Adresse der Uniformfabrik.
«Und weiter?»
«Das ist alles. Das ist wirklich alles, was ich weiß. Bestimmt, Herr Kommissar!»
«Finden Sie das nicht ein bißchen komisch, daß die Braut vom Sohn nicht einmal mehr zu den Schwiegerel-tern kommt, nicht mal nach dem Tode des Bräutigams?»
«Aber mein Mann war doch so! Wir haben schon nie Verkehr gehabt, und seit wir die Karten schrieben, hat er überhaupt alles abgebrochen.»
«Da lügen Sie schon wieder! Mit den Heffkes haben Sie erst beim Kartenschreiben den Verkehr angefangen!»
«Ja, das ist wahr! Das hatte ich vergessen. Aber Otto war es auch gar nicht recht, er hat's nur erlaubt, weil es mein Bruder ist. Und wie hat er immer auf die Verwandtschaft geschimpft!» Sie sah den Kommissar traurig an. Sie sagte schüchtern: «Darf ich jetzt auch was fragen, Herr Kommissar?»
Kommissar Laub knurrte: «Fragen Sie nur! Wer viel fragt, kriegt viel Antwort.»
«Stimmt es ...» Sie unterbrach sich. «Ich glaube, ich ha-be meine Schwägerin gestern morgen unten auf dem Flur gesehen ... Stimmt es, daß Heffkes auch verhaftet sind?» «Das lügen Sie wieder!» Ein
Weitere Kostenlose Bücher