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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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    ihr werdet doch solch ein Gerippe tragen können?!»
    Sein Ton war bei all seiner Rauheit fast gutmütig, er half auch beim Tragen.
    Sie gingen einen langen Gang hinauf, dann wurde eine eiserne Gittertür geschlossen, ihr Begleiter wies einem Posten seinen Zettel, und nun ging es viele steinerne Treppen hinab. Es wurde feucht, das elektrische Licht brannte düster.
    «Da!» sagte der SS-Mann und schloß eine Tür auf. «Das ist der Leichenkeller. Legt sie hierher auf die Pritsche.
    Aber zieht sie aus. Kleider sind knapp. Es wird alles gebraucht!»
    Er lachte, aber sein Lachen klang gezwungen.
    Die Frauen stießen einen Schrei des Entsetzens aus.
    Denn in diesem wahrhaften Leichenkeller lagen tote Männer und Frauen, und alle nackt, wie sie auf die Welt gekommen waren. Da lagen sie, mit zerschlagenen Gesichtern, mit blutigen Striemen, mit verdrehten Gliedern, krustig von Blut und Schmutz. Niemand hatte sich die Mühe genommen, ihnen die Augen zuzudrücken, sie starrten tot, und manche schienen auch tückisch zu blinzeln, als seien sie neugierig und freuten sich über den Zuwachs, der ihnen da zugetragen wurde.
    Und während Anna und Trudel sich mit zitternden Händen mühten, die tote Berta möglichst rasch ihrer Kleider zu entledigen, konnten sie es doch nicht lassen, immer wieder neu einen Blick hinter sich auf die Versammlung der Toten zu werfen, auf diese Mutter, deren lang herabhängende Brust für immer versiegt war, auf einen alten Mann, der so sicher gehofft hatte, nach einem arbeitsreichen Leben ruhig in seinem Bett zu sterben, nach jenem jungen, weißlippigen Mädchen, das erschaffen war, Liebe zu geben und zu empfangen, nach dem Burschen mit der zerschmetterten Nase und einem ebenmäßigen Körper, der wie gelb gewordenes Elfenbein aussah.
    Es war still in diesem Raum, ganz leise raschelten unter den Händen der beiden Frauen die Kleider der toten Berta.
    Dann summte eine Fliege, und alles war wieder still.
    Der SS-Mann sah, die Hände in den Taschen, den beiden Frauen bei ihrer Arbeit zu. Er gähnte, er brannte sich eine Zigarette an und sagte: «Ja, ja, so ist das Leben!» Und wieder war alles still.
    Dann, als Anna Quangel die Kleider zu einem Bündel verschnürt hatte, sagte er: «Also gehen wir!»
    Aber Trudel Hergesell legte ihm die Hand auf den schwarzen Ärmel und bat: «Oh, bitte, bitte! Erlauben Sie mir doch, daß ich einmal hier nachsehe! Mein Mann -
    vielleicht liegt er auch hier unten ...»
    Er sah einen Augenblick auf sie herunter. Plötzlich sagte er: «Mädel! Mädel! Was machst du hier?» Er bewegte langsam den Kopf hin und her. «Ich hab 'ne Schwester auf unserm Dorf, sie muß so alt sein wie du.» Er sah noch einmal auf sie. «Also, sieh nach. Aber mach schnell!»
    Sie ging leise zwischen den Toten umher. Sie sah in all diese Gesichter, die ausgelöscht waren. Manche waren durch Wunden so entstellt, daß sie nicht zu erkennen waren, aber die Haarfarbe, ein Mal am Körper verriet ihr, daß es nicht Karl Hergesell sein konnte.
    Sie kam zurück, sehr bleich.
    «Nein, er ist nicht hier. Noch nicht.»
    Der Posten vermied ihren Blick. «Also denn los!» sagte er und ließ sie vorangehen.
    Aber solange er an diesem Tag Wache hatte auf ihrem Zellengang, öffnete er immer wieder mal die Tür, damit sie bessere Luft in die Zelle bekämen. Er brachte ihnen auch frische Wäsche für das Bett der Toten - und das war in dieser erbarmungslosen Hölle ein sehr großes Erbarmen.
    An diesem Tag hatte Kommissar Laub nicht viel Erfolg mit der Vernehmung der beiden Frauen. Sie hatten einander getröstet, und sie hatten ein bißchen Sympathie zu fühlen bekommen, sogar von einem SS-Mann, sie waren stark.
    Aber es kamen noch so viele Tage, und dieser SS-Mann tat nie wieder Dienst auf ihrem Flur. Er war wohl als ungeeignet abgelöst, er war noch zu sehr Mensch, um hier Dienst zu tun.

Baldur Persicke macht Besuch
    Baldur Persicke, der stolze Schüler der Napola, der erfolgreichste Sproß vom Hause Persicke, hat seine Geschäfte in Berlin abgeschlossen. Er kann endlich wieder zurückfahren und sich darin ausbilden, ein Herr der Welt zu sein. Er hat seine Mutter aus ihrem Schlupfwinkel bei den Verwandten zurückgeholt und ihr streng befohlen, die Wohnung nicht wieder zu verlassen, sonst passiere ihr allerlei, und er hat auch einmal seine Schwester im KZ Ravensbrück besucht.
    Er hat ihr nicht seine Anerkennung für das treffliche Antreiben alter Frauen versagt, und abends haben Bruder und Schwester mit einigen

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