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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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setzte plötzlich hinzu: «Aber an der Fehlgeburt bist du nicht schuld, Mutter. Die war schon, als noch nichts geschehen war.»
    Plötzlich eilte Trudel Hergesell schwankend durch die Zelle, sie barg ihren Kopf an Annas Brust und klagte:
    «Ach Mutter, wie unglücklich bin ich doch geworden! Sa-ge doch du mir, daß Karli es lebend überstehen wird!»
    Und Anna Quangel küßte sie - und flüsterte: «Er wird leben, Trudel, und auch du wirst leben! Ihr habt doch nichts Böses getan!»
    Eine Weile hielten sie sich umfaßt und waren ganz still.
    Eines ruhte in der Liebe des andern, ein wenig Hoffnung rührte sich wieder.
    Dann schüttelte die Trudel den Kopf, und sie sagte:
    «Nein, auch wir werden nicht heil davonkommen. Sie haben zu viel herausgefunden. Es ist wahr, was du sagst: eigentlich haben wir nichts Böses getan. Der Karli hat für einen andern einen Koffer aufbewahrt, ohne zu wissen, was darin ist, und ich habe für den Vater eine Postkarte abgelegt. Aber sie sagen, das ist Hochverrat und kostet den Kopf.» «Das hat sicher der Laub gesagt, dieser schreckliche Kerl!»
    «Ich weiß nicht, wie er heißt, aber das ist mir auch ganz egal. So sind sie doch alle! Auch die auf der Aufnahme hier, alle sind sie sich gleich. Aber es ist vielleicht ganz gut, daß es so viel ist: Jahre und Jahre in einem Zuchthaus sitzen .»
    «Die Herrschaft von denen wird nicht mehr Jahre und Jahre dauern, Trudel!»
    «Wer weiß? Und was haben sie alles den Juden und den andern Völkern antun dürfen - ohne Strafe! Glaubst du wirklich, daß es Gott gibt, Mutter?»
    «Ja, Trudel, das glaube ich. Otto wollte es ja immer nicht erlauben, aber das ist mein einziges Geheimnis vor ihm: ich glaube noch an Gott.»
    «Ich habe nie recht an ihn glauben können. Aber es wäre schön, wenn es Gott gäbe, denn dann wüßte ich doch, Karli und ich würden nach dem Tode zusammen sein!»
    «Das werdet ihr, Trudel. Sieh einmal, auch Otto glaubt nicht an Gott. Er sagt, er weiß, mit diesem Leben ist alles zu Ende. Aber ich weiß, ich werde mit ihm zusammen sein nach unserm Tode, immer und ewig. Das weiß ich, Trudel!»
    Trudel sah zu der Pritsche hinüber mit der stillen Gestalt, sie ängstigte sich.
    Sie sagte: «Sie sieht nicht gut aus, diese Frau da! Ich habe Angst, wenn ich sie ansehe, mit ihren Totenflecken und so aufgetrieben! Ich möchte nicht so daliegen, Mutter!»
    «Sie liegt schon den dritten Tag so, Trudel, sie holen sie ja nicht weg. Sie sah sehr schön aus, als sie gestorben war, so still und feierlich. Aber jetzt ist die Seele aus ihr entflohen, jetzt liegt sie da wie ein Stück verdorbenes Fleisch.»
    «Sie sollen sie fortholen! Ich kann sie nicht ansehen! Ich will diesen Gestank nicht mehr atmen!»
    Und ehe Anna Quangel es noch hatte hindern können, war Trudel zur Tür geeilt. Mit den Händen trommelte sie gegen das Eisenblech und schrie: «Aufmachen! Sofort aufmachen! Hört doch!»
    Das war verboten, jedes Lärmen war verboten, eigentlich war sogar jedes Sprechen verboten.
    Anna Quangel eilte zu Trudel, sie hielt ihre Hände fest, zog sie von der Tür fort und flüsterte angstvoll: «Das darfst du nicht tun, Trudel! Das ist verboten! Sie werden
    hereinkommen und dich schlagen!»
    Aber es war schon zu spät. Das Schloß knackte, und herein stürzte ein riesenlanger SS-Mann mit erhobenem Gummiknüttel. «Was habt ihr hier zu schreien, ihr Nutten?» brüllte er. «Habt ihr etwa Befehle zu geben, ihr Hurengesindel?»
    Die beiden Frauen sahen ihn aus einem Winkel angstvoll an.
    Er ging nicht zu ihnen, sie zu schlagen. Er ließ den Totschläger sinken und murmelte:
    «Das stinkt ja hier wie ein ganzer Leichenkeller! Wie lange liegt die denn schon hier?»
    Er war ein blutjunger Bursche, sein Gesicht war blaß geworden.
    «Schon den dritten Tag», sagte Frau Anna. «Ach, seien Sie doch so gut und sehen Sie, daß die Tote aus der Zelle kommt! Man kann hier wirklich nicht mehr atmen!»
    Der SS-Mann murmelte etwas und ging aus der Zelle.
    Aber er verschloß die Tür nicht wieder, er lehnte sie nur an.
    Leise schlichen die beiden an die Tür, stießen sie ein wenig weiter auf, nur ein wenig weiter, und atmeten durch den Spalt die aus Desinfektions-und Abortgerüchen gemischte Luft des Ganges wie ein Labsal. Dann zogen sie sich wieder zurück, denn der junge SS-Mann kam den Gang herauf.
    «So!» sagte er und hatte einen Zettel in der Hand.
    «Dann faßt man fix an! Du, Alte, nimm sie bei den Beinen, und du, Junge, nimm sie beim Kopf. Los mit euch

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