Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
ganzen Körper.
    Ja, dies war schwer zu ertragen, und oft fragte sich Otto Quangel, warum er es denn eigentlich ertrug, da das Ende doch gewiß war, das nahe Ende. Aber da war ein Widerstand in ihm, sich selbst auszulöschen, Anna zu verlassen, die er doch nicht mehr sah. Da war ein Widerstand in ihm, es denen so leicht zu machen, das Urteil vorwegzu-nehmen. Sie sollten ihm das Leben absprechen, es ihm nehmen, mit Strick oder Fallbeil, gleichviel. Sie sollten nicht glauben, daß er sich schuldig fühlte. Nein, er wollte ihnen nichts ersparen, und so ersparte er sich Karlchen Ziemke nicht.
    Und es war seltsam: je weiter diese neunzehn Tage vorrückten, um so ergebener schien ihm der «Hund» zu werden. Er biß ihn nicht mehr, er warf ihn nicht mehr und
    faßte ihn an der Kehle. Hatten ihm seine SS-Kameraden einmal einen besseren Bissen zugeteilt, so mußte er durchaus geteilt werden, und oft lag der Hund stundenlang mit seinem riesigen Rundschädel im Schoße des alten Mannes, die Augen geschlossen, leise vor sich hin blaffend, während die Finger Otto Quangels durch seine Haare fuhren.
    Dann fragte sich der Werkmeister oft, ob dieses Tier über dem Vortäuschen eines Wahnsinns nicht wirklich wahnsinnig geworden war. Aber wenn er's wirklich war, so waren es seine «freien» Kameraden auf den Gängen des Bunkers auch. Dann änderte es auch nichts, dann waren sie samt ihrem wahnsinnigen Führer und ihrem ständig blöde grinsenden Himmler ein Geschlecht, das ausgelöscht werden mußte von dem Antlitz der Erde, damit die Vernünftigen leben konnten.
    Als es dann hieß, Otto Quangel käme auf Transport, war Karlchen sehr unglücklich. Er jaulte und wimmerte, er zwang Quangel sein ganzes Brot auf, und als der Werkmeister auf den Gang heraustreten und mit hocherhobenen Armen das Gesicht gegen die Wand pressen mußte, schlüpfte der nackte Mann auf allen vieren aus der Zelle, hockte sich neben ihn und jaulte leise und jammervoll. Dies hatte das Gute, daß die rohen SS-Männer nicht ganz so roh mit Quangel umsprangen wie mit den andern Transportgefangenen; ein Mann, der die Ergebenheit eines solchen Hundes gewonnen hatte, dieser Mann mit dem
    kalten, bösen Vogelgesicht machte sogar auf die Henkersknechte Eindruck.
    Und als es dann «Abrücken!» hieß, als der Hund Karlchen in seine Zelle zurückgejagt wurde, da war das Gesicht Quangels nicht mehr nur kalt und böse, da empfand er in seinem Herzen einen leichten Druck, etwas wie Bedauern. Der Mann, der in seinem ganzen Leben sein Herz nur an einen Menschen, nämlich an seine Frau, gehängt hatte, sah den vielfachen Mörder, dieses Vieh von einem Menschen, nur ungern aus seinem Leben scheiden.

Anna Quangel und Trudel Hergesell
    Vielleicht war es nur Schlamperei, daß Anna Quangel als Zellengefährtin nach Bertas Tod Trudel Hergesell bekam.
    Vielleicht aber war es auch so, daß die dem Herrn Kommissar Laub im Grunde ganz unwichtig waren. Man quetschte aus ihnen heraus, was sie wußten, was sie von ihren Kerlen erfahren hatten, und dann waren sie erledigt.
    Die wirklichen Verbrecher waren immer die Männer, die Weiber liefen nur so mit, was freilich nicht hinderte, daß sie mit ihren Männern hingerichtet wurden.
    Ja, Berta war gestorben, diese Berta, die der Anna ganz harmlos die Anwesenheit ihrer Schwägerin verraten und dadurch den Zorn des Kommissars Laub auf ihr Haupt herabgezogen hatte. Sie war ausgelöscht wie ein Licht, in Anna Quangels Armen war sie, schwächer und schwächer werdend, gestorben, und mit stets leiserer Stimme hatte sie ihre Zellengefährtin nur angefleht, niemanden zu rufen. Berta, wie sie nun weiter heißen und was für ein Verbrechen sie auch begangen haben mochte, war plötzlich still geworden. Ein paarmal hatte es in ihrer Kehle noch gerasselt, sie hatte um Luft gekämpft, und dann war ein Blutstrom gekommen, Blut über Blut; die um die Schultern Annas geklammerten Arme hatten sich gelöst ...
    Da hatte sie gelegen, sehr weiß und sehr still - und An-na hatte sich voll Kummer gefragt, ob sie nicht mit Schuld an diesem Ende trug. Hätte sie zu dem Kommissar Laub nicht ihre Schwägerin erwähnt! Und dann dachte sie an Trudel Baumann, Trudel Hergesell, sie fing an zu zittern
    - die hatte sie wirklich verraten! Gewiß, gewiß, Entschuldigungen genug. Wie hatte sie ahnen können, welch Unheil aus der bloßen Erwähnung von Ottochens Braut ent-stehen würde! Aber dann war es weitergegangen, Schritt um Schritt, und schließlich war der Verrat

Weitere Kostenlose Bücher