Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
Volksgerichtshof Sie und mich und diese da ...»
    «Still!» sagte der Säugling. «Gehen Sie doch einen Augenblick tanzen. Das scheint ein sehr netter Tanz. Sie können sich unterdes besprechen, und wir beide besprechen uns hier ...»
    Widerstrebend war der junge Dunkle aufgestanden und hatte seiner Dame eine leichte Verbeugung gemacht. Widerstrebend hatte sie die Hand auf seinen Arm gelegt, bleich gingen sie beide im Strom der andern zur Tanzfläche. Sie tanzten ernst, schweigend, ihm war es, als tanze er mit einer Toten. Ihn schauderte es. Die Uniformen um ihn, die Hakenkreuzbinden, die blutroten Fahnen an den Wänden mit dem verhaßten Zeichen, das mit Grün geschmückte Führerbild, die rhythmischen Geräusche des Swings: «Du wirst es nicht tun, Trudel», sagte er. «Er ist wahnsinnig, so etwas zu verlangen. Versprich mir ...»
    Sie bewegten sich fast auf der Stelle in dem immer dichter werdenden Gewühl. Vielleicht weil sie in ständiger Berührung mit anderen Paaren waren, vielleicht sprach sie darum nicht.
    «Trudel!» bat er noch einmal. «Versprich es mir! Du kannst ja in einen andern Betrieb gehen, dort arbeiten, damit du denen aus den Augen bist. Versprich mir ...»
    Er versuchte sie dazu zu bringen, daß sie ihn ansah, aber ihre Augen sahen hartnäckig über seine Schulter fort.
    «Du bist die Beste von uns», sagte er plötzlich. «Du bist die Menschlichkeit, er ist bloß das Dogma. Du mußt weiterleben, gib ihm nicht nach!»
    Sie schüttelte den Kopf, mochte es nun ein Ja oder ein Nein bedeuten. «Ich möchte zurück», sagte sie. «Ich mag nicht mehr tanzen.»
    «Trudel», sagte Karl Hergesell hastig, als sie sich aus den Tanzenden gelöst hatten, «dein Otto ist erst gestern gestorben, erst gestern hast du die Nachricht bekommen.
    Es ist zu früh. Aber du weißt es ja auch so, ich habe dich immer geliebt. Ich habe nie etwas von dir erwartet, aber nun erwarte ich, daß du wenigstens lebst. Nicht für mich, nein, daß du lebst!»
    Aber wieder bewegte sie nur den Kopf, wieder blieb es ungewiß, was sie zu seiner Liebe, was sie zu seinem Wunsche, sie am Leben zu sehen, meinte. Sie waren am Tisch der andern angelangt. «Nun?» fragte Grigoleit mit der hohen Stirn. «Wie tanzt es sich? Ein bißchen voll, wie?»
    Das Mädchen hatte sich nicht wieder gesetzt. Es sagte:
    «Ich gehe dann jetzt. Macht's gut. Ich hätte gerne mit euch gearbeitet ...»
    Sie wandte sich zum Gehen.
    Jetzt aber war dieser dicke, harmlose Säugling der erste hinter ihr, er faßte sie am Handgelenk, er sagte: «Einen Augenblick noch, bitte!» Er sagte es vollkommen höflich, aber sein Blick drohte.
    Sie kehrten an den Tisch zurück. Sie setzten sich wieder.
    Der Säugling fragte: «Ich verstehe doch recht, Trudel, was dein Abschied eben bedeutete?»
    «Du hast vollkommen recht verstanden», sagte das Mädchen und sah ihn mit harten Augen an.
    «So bitte ich dich, daß du mir erlaubst, dich für den Rest des Abends zu begleiten.»
    Sie machte eine Bewegung entsetzter Abwehr.
    Er sagte sehr höflich: «Ich will mich nicht aufdrängen, aber ich gebe zu bedenken, daß bei der Ausführung eines solchen Vorhabens wiederum Fehler begangen werden können.» Er flüsterte drohend: «Es liegt mir nichts daran, daß irgendein Idiot dich aus dem Wasser fischt oder daß du morgen als gerettete Giftselbstmörderin in einem Krankenhaus liegst. Ich will dabeisein!»
    «Richtig!» sagte der Hochstirnige. «Ich stimme zu. Das gibt die einzige Gewähr ...»
    «Ich werde», sagte nachdrücklich der Dunkle, «heute und morgen und jeden folgenden Tag an ihrer Seite sein.
    Ich werde alles tun, um die Ausführung dieses Vorhabens zu vereiteln. Ich werde Hilfe herbeiholen, wenn ihr mich zwingt, selbst von der Polizei!»
    Der Hochstirnige pfiff wieder, lang, gedehnt, leise und böse.
    Der Säugling sagte: «Aha, jetzt haben wir schon den zweiten Plapperer am Tisch. Verliebt, was? Ich dachte mir so was schon immer. Kommen Sie, Grigoleit, die Zelle ist aufgelöst. Es gibt keine Zelle mehr. Und das nennt ihr Disziplin, ihr Weiberherzen!»
    «Nein, nein!» rief das Mädchen. «Hören Sie nicht auf ihn! Es ist wahr, er liebt mich. Aber ich liebe ihn nicht.
    Ich will heute abend mit euch gehen ...»
    «Nichts!» sagte der Säugling jetzt wirklich zornig.
    «Seht ihr denn nicht, daß ihr gar nichts mehr tun könnt, da er ...» Er machte eine Kopfbewegung zu dem Dunklen hin. «Ach was!» sagte er dann kurz. «Es ist ausgespielt!
    Komm, Grigoleit!»
    Der Hochstirnige

Weitere Kostenlose Bücher