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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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tragen. Sie schluchzte leise dabei: Was für ein Mann! Sollte ihr denn gar nichts bleiben? Nach dem Sohne auch der Vater verloren?
    Quangel ging unterdes eilig auf die Prenzlauer Allee zu.
    Ihm war eingefallen, daß er sich besser vorher solch ein Haus einmal ansah, ob seine Idee von einem solchen Hause auch richtig war? Sonst mußte er sich was anderes aus-denken.
    In der Prenzlauer Allee ging er langsamer, sein Auge streifte die Schilder an den Haustüren, als suchten sie etwas Bestimmtes. An einem Eckhaus sah er die Schilder von zwei Rechtsanwälten und einem Arzt neben vielen Geschäftsschildern.
    Er drückte gegen die Haustür. Sie öffnete sich sofort.
    Richtig: kein Portier in solch einem viel begangenen Hause. Er stieg langsam, die Hand auf dem Geländer, die Stufen der Treppe empor, eine ehemals «hochherrschaftliche»
    Treppe mit Eichenparkett, von der aber viel Benutzung und Krieg jede Spur des Hochherrschaftlichen genommen hatten. Jetzt sah sie nur schmierig und abgetreten aus, die
    Läufer waren schon längst verschwunden, wahrscheinlich bei Kriegsausbruch eingezogen.
    Otto Quangel passierte ein Anwaltsschild im Hochparterre, er nickte, langsam stieg er weiter. Es war nicht so, daß er etwa allein dies Treppenhaus benutzt hätte, nein, immerzu eilten Leute an ihm vorüber, ihm entgegen-kommend oder ihn überholend. Immer hörte er Klingeln gehen, Türen schlagen, Telefone läuten, Schreibmaschinen klappern, Stimmen sprechen.
    Aber dazwischen kam immer wieder ein Augenblick, da Otto Quangel das Treppenhaus ganz für sich allein hatte, oder doch seinen Treppenabschnitt für sich allein, wo alles Leben sich in die Büroräume zurückgezogen zu haben schien. Das wäre dann der richtige Augenblick gewesen, es zu tun. Es war überhaupt alles richtig, genau wie er es sich gedacht hatte. Eilige Menschen, die einander nicht ins Gesicht sahen, schmutzige Fensterscheiben, durch die nur ein graues Tageslicht sickerte, kein Portier, überhaupt niemand, der an dem andern Interesse nahm.
    Als Otto Quangel im ersten Stockwerk das Schild des zweiten Anwalts gelesen hatte und durch eine deutende Hand dahin belehrt worden war, der Arzt wohne noch ei-ne Treppe höher, nickte er zustimmend. Er machte kehrt, er kam eben gerade vom Anwalt, er ging aus dem Haus.
    Unnötig, sich dort weiter umzusehen, genau das Haus, wie er es brauchte, und von solchen Häusern gab es Tausende in Berlin.
    Der Werkmeister Otto Quangel steht wieder auf der Straße. Ein dunkler junger Mann mit sehr weißer Gesichtshaut tritt auf ihn zu.
    «Herr Quangel, nicht wahr?» fragt er. «Herr Otto Quangel aus der Jablonskistraße, nicht wahr?»
    Quangel knurrt ein abwartendes «Nu?», ein Laut, der beides, Zustimmung wie Ablehnung, bedeuten kann.
    Der junge Mann nimmt ihn für Zustimmung. «Ich soll Sie von der Trudel Baumann bitten», sagt er, «daß Sie sie ganz vergessen. Ihre Frau möchte die Trudel auch nicht mehr besuchen. Es ist nicht nötig, Herr Quangel, daß ...»
    «Bestellen Sie», sagt Otto Quangel, «daß ich keine Trudel Baumann kenne und nicht angequatscht zu werden wünsche .»
    Seine Faust trifft den jungen Mann direkt an der Kinnspitze, der sackt zusammen wie ein nasser Lappen. Quangel geht achtlos durch die Leute, die zusammenzulaufen beginnen, hindurch, direkt an einem Schupo vorbei, auf die Haltestelle der Elektrischen zu. Die Bahn kommt, er steigt ein, fährt zwei Haltestellen weit.
    Dann fährt er in der Gegenrichtung zurück, diesmal auf der Vorderplattform des Anhängers. Es ist, wie er gedacht: der größte Teil der Menschen hat sich in der Zwischenzeit verlaufen, zehn, zwölf Neugierige stehen noch vor einem Café, in das man den Angeschlagenen wohl geschafft hat.
    Er ist schon wieder bei Besinnung. Zum zweitenmal innerhalb zweier Stunden hat Karl Hergesell sich einer amtlichen Person gegenüber auszuweisen.
    «Es war wirklich nichts, Herr Wachtmeister», versicherte er. «Ich habe ihn wohl unachtsam auf den Fuß getreten, und er schlug gleich zu. Keine Ahnung, wer das war, ich hatte meine Entschuldigung noch nicht raus, da schlug er schon zu.»
    Wieder darf Karl Hergesell unangefochten gehen, kein Verdacht besteht gegen ihn. Aber er ist sich klar darüber, daß er sein Glück so nicht weiter auf die Probe stellen darf. Er ist zu diesem Ex-Schwiegervater Otto Quangel auch nur deswegen gegangen, um wegen Trudels Sicherheit klarzusehen. Nun, was diesen Otto Quangel angeht, so darf er wohl unbesorgt sein. Ein harter Vogel das, und

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