Jeier, Thomas
Granit gemeißelten Präsidentenköpfe, gezeigt wird, auch auf das tragische Schicksal der Indianer eingegangen wird. Die Freundschaft mit Professor Dr. Birgit Hans führte mich nach Grand Forks an die University of North Dakota. Dort nahm ich im Rahmen der »Indian Studies« an zahlreichen Vorlesungen an ihrem Lehrstuhl teil und sprach häufig mit jungen indianischen Studenten. Auch ein Grund dafür, dass mein Kapitel über die heutigen Indianer sehr ausführlich geraten ist - im Unterschied zu vielen anderen Indianerbüchern lag mir die Schilderung der Gegenwart sehr am Herzen. Mit Serle Chapman und seiner Cheyenne-Frau Long Neck Woman erkundete ich das Schlachtfeld am Little Bighorn. Serle gehört zur jüngeren Generation von Cheyenne, die sich ernsthaft mit Ihrer Vergangenheit beschäftigen.
Es galt, in diesem Buch vor allem mit in vielen Jahrzehnten manifestierten Klischees aufzuräumen, neueste Wissenschaftserkenntnisse aufzugreifen und so dem Leser ein möglichst umfassendes Bild indianischer Vergangenheit und Gegenwart zu vermitteln: Waren die Indianer nur blutrünstige Wilde oder naturverbundene Edelmenschen oder weder noch? Leben heute Nachfahren der Wikinger in Minnesota? Standen präkolumbianische Indianer in kulturellem Austausch mit mesoamerikanischen Hochkulturen? Waren die Indianer Vorläufer der modernen Umweltbewegung? Waren die Irokesen tatsächlich die »Ghostwriter« der amerikanischen Verfassung? Besaßen indianische Frauen mehr Einfluss als ihre Zeitgenossinnen? Waren die Männer ehrenvolle Krieger oder rücksichtslose Eroberer? Gab es Massaker auf beiden Seiten? Sind die Spielkasinos der »neue Büffel«?
Auch um diese Fragen in einem möglichst sinnvollen Kontext beantworten zu können, folge ich in den Kapiteln nicht der Chronologie der Geschichte, sondern lege mein Augenmerk auf bestimmte Themenkreise, die gerade von Hollywood und in der Trivialliteratur, aber auch in zahlreichen Sachbüchern verfälscht wurden. Die Stellung der indianischen Frau mag als Paradebeispiel dafür dienen, wie sehr das Bild der Indianer verzerrt wurde. Als mittellose und zum Gehorsam verpflichtete »Squaw« taucht sie in Westernfilmen und Action-Romanen auf. In Wirklichkeit war sie dem Mann eine ebenbürtige Partnerin, die in der Gesellschaft mehr Einfluss hatte als ihre Geschlechtsgenossinnen zur gleichen Zeit anderswo.
Dass ich im Rahmen eines einzigen Buches nicht auf jeden einzelnen der über 500 Stämme eingehen kann, liegt auf der Hand. Ich habe den Schwerpunkt auf die Stämme gelegt, die das Bild dieses Volkes in besonderem Maße in der Öffentlichkeit prägen. Das sind vor allem Prärieindianer wie die Sioux, Cheyenne und Comanchen, aber auch Waldindianer wie die Irokesen, Apachen und Seminolen.
Eine weitere Besonderheit bei der Erarbeitung eines Buchs über die Geschichte der Indianer ist das Fehlen schriftlicher Aufzeichnungen aus indianischer Sicht: Bei ihnen wurden die Geschichte, die Traditionen, kurz, das gesamte kulturelle Wissen, mündlich weitergegeben. So erfährt man von vielen Einzelschicksalen nur, wenn man mit den Nachfahren spricht. In Lame Deer im Northern Cheyenne Reservat habe ich mit zahlreichen Männern und Frauen geredet, deren Vorfahren bei den Massakern am Sand Creek oder bei Washita dabei gewesen waren. Ihre Überlieferungen waren für mich und mein Verständnis der Vergangenheit wertvoller als so manches Fachbuch eines angesehenen Wissenschaftlers. Denn wer die Vergangenheit eines Volkes kennenlernen will, muss vor allem die Geschichten und Lieder dieser Menschen kennen.
Begegnungen mit den Nachfahren der Menschen, die am historischen Geschehen beteiligt waren, Diskussionen mit Weißen und Indianern, die mit den heutigen Problemen konfrontiert sind, der Besuch historischer Schauplätze und das intensive Studium von historischen Quellen, Fachbüchern, Tagebüchern, alten Zeitungsberichten und Regierungsaufzeichnungen - für mich ist all dies unabdingbarer Bestandteil jeder umfassenden Recherche. Nur so kommt man der historischen Wirklichkeit näher, der Geschichte allmählich auf die Spur.
Thomas Jeier
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Einführung
Indianer - gibt es die noch?
»Wir Indianer leben heute in einer Welt der Verwirrung. Das ist es, die Verwirrung in unserem Leben. Wir sind Indianer w1d wollen nach Art der Indianer leben. Der Weiße Mann jedoch erzählt uns, dass wir wie die Weißen leben müssen, wenn wir in dieser Welt vorankommen wollen. Aber wie können wir etwas sein. zu dem wir
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