Jeier, Thomas
uns Darrell Norman, ein Blackfeet-Indianer, den wir im Reservat im nördlichen Montana treffen. Die endlose Weite der Hochprärie, die Berge der Rocky Mountains, die einstigen Jagdgründe der Blackfeet, Sioux und Cheyenne. Ein Land, das verzaubert, weil man es mit dem Herzen fühlen kann. Wie die Indianer, die diesen heiligen Boden noch heute verehren. Mutter Erde. Selbst die Steine sind in dieser Einsamkeit lebendig und erzählen von der großen Zeit der Indianer, als noch endlose Büffelherden über die weiten Ebenen donnerten. Wenn man den Wagen am Straßenrand parkt und zum Horizont blickt, meint man sie noch immer zu sehen.
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Kapitel 1
Erste Kontakte
»Wir begegneten einem freundlichen, zutraulichen, vertrauenswürdigen Volk, bar aller Arglist und Niedertracht und wie im Goldenen Zeitalter lebend. «
Arthur Barlowe, englischer Entdecker, 1584
Von dem Augenblick an, als die ersten sibirischen Jäger das amerikanische Festland betraten, bis zu der Unterwerfung der amerikanischen Ureinwohner durch europäische Siedler und ihrem verzweifelten Bemühen, den Weg des weißen Mannes zu gehen und in Reservaten zu überleben, sahen sich die Indianer einer ständig wachsenden Herausforderung gegenüber. Während der Einwanderung war vor allem die Natur ihr Gegner. Mehrere Jahrtausende vergingen, bis jede Gruppe ihren Platz auf dem riesigen Kontinent gefunden und sich der ungewohnten Umgebung angepasst hatte.
Unterdrückung, Marginalisierung, Enteignung und Diskriminierung - vier Kriterien, die der ehemalige UN-Sonderberichterstatter José Martinez-Cobo an den Begriff »indigene Völker« knüpft, bestimmten das Leben der Indianer im zweiten Jahrtausend, als die ersten Europäer in Amerika landeten und einen jahrelangen Vernichtungskrieg begannen. 12 000 Jahre, nachdem die ersten Jäger nach Amerika gekommen waren, blieb ihren Nachkommen keine andere Wahl, als zu kapitulieren. Sie verloren ihr Land und ihre Kultur und kämpfen im dritten Jahrtausend darum, nicht vollkommen im amerikanischen Mainstream unterzugehen.
Über die Landbrücke nach Amerika
Die Besiedlung des amerikanischen Kontinents vollzog sich in mehreren Einwanderungswellen. Die ersten Jäger wanderten während der letzten Eiszeit, vor 11 500 bis 12 000 Jahren, von Sibirien nach Alaska. Die Eismassen, die damals die Erde bedeckten, hatten riesige Wassermengen gebunden und den Meeresspiegel um etwa 125 Meter sinken lassen. So entstand die »Beringia« genannte Landbrücke, auf der die sibirischen Jäger dem Großwild folgten, das ebenfalls diese Route nahm, und sie siedelten in den Wäldern und auf dem Grasland westlich der Rocky Mountains. Ohne sich dessen wahrscheinlich bewusst gewesen zu sein, waren sie dabei, einen bisher menschenleeren Kontinent zu erobern.
Die Paläoindianer, die mit der ersten Einwanderungswelle nach Amerika kamen, bezeichnet man heute als Clovis-Menschen, benannt nach der kleinen Stadt in New Mexico, in deren Nähe man blattförmige Speerspitzen aus dieser Periode fand. Innerhalb von nur 500 Jahren verbreiteten sich die Angehörigen dieser Kultur über den gesamten nordamerikanischen Kontinent. Sie waren Jäger und Sammler und lebten von der Jagd auf Großtiere wie Mammuts, Mastodonten, Riesenfaultiere und den damals noch wesentlich größeren Bisons. Ihre Kultur verschwand mit dem Ende der Eiszeit vor ungefähr 11 000 Jahren, als die globale Erwärmung die Eismassen schmelzen ließ, und alle Großtiere bis auf den amerikanischen Bison ausstarben. Ob auch die verstärkte Bejagung durch die Clovis-Menschen oder der dramatische Klimawechsel allein am Aussterben der Megafauna im Pleistozän schuld war, oder eine Mischung beider Faktoren, ist unter Wissenschaftlern ebenso umstritten wie die Frage, ob die ersten Amerikaner tatsächlich der Clovis- Kultur angehörten. Neue Knochenfunde in Pennsylvania und Oregon weisen darauf hin, dass bereits vor der Einwanderung der Clovis-Menschen Paläoindianer über die Bering-Brücke gekommen waren. Neueste Theorien legen nahe, dass Eingeborene aus Asien mit Kanus aus Tierhäuten oder Booten aus ausgehöhlten Baumstämmen entlang der Pazifikküste in das heutige Amerika gekommen sein könnten.
Ausschließen kann man wohl jene wirren Theorien, denen zufolge die Indianer von Polynesiern abstammen, die über den Seeweg nach Amerika gekommen sein könnten, oder Amerika sei durch jüdische Stämme oder gar die Bewohner des versunkenen Atlantis besiedelt worden.
Nach den
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