Jenseits aller Vernunft
Kopf tief über das Neugeborene gesenkt, während ihr ganzer Körper glühte vor Scham. Offensichtlich machte Mas Direktheit auch Mr. Coleman sprachlos, denn eine Weile lang blieb er stumm. Der Wagen war von Spannung erfüllt. Dieser Mann strahlte Widerstand aus wie ein Ofen im Winter die Hitze.
Schließlich war das Baby satt. Lydia schloss das Nachthemd wieder über ihrer Brust und folgte Mas Anweisungen bezüglich des Bäuerchens, das noch abzuwarten war. Es gab einen lauten Rülpser von sich.
Ross betrachtete die Szene mit weiterhin wachsendem, ohnmächtigem Zorn. Wer weiß, wie viele Männer die Nutte in ihrem Bett gehabt hatte, und doch saß sie da und benahm sich wie eine Tugendfee, die ein Kind gestillt hat. Sein Kind. Victorias Kind. Aber er hatte ja keine andere Wahl. Er wollte, dass sein Sohn lebte. Das Kind würde das einzige Band sein zu der Frau, die er so innig geliebt hatte.
Er hustete unnötig laut. »Meinetwegen. Sie kann bleiben. Vorübergehend. Sobald ich einen Weg finde, ihn selbst zu ernähren und zu versorgen, ist sie wieder draußen. Verstanden? Ich bin schließlich kein Wohlfahrtsunternehmen. Abgesehen davon will ich auch nicht, dass eine Frau wie sie Victorias Baby versorgt. Es tut mir leid, was mit ihrem Kind passiert ist, aber wahrscheinlich war es sowieso besser, dass es gestorben ist. Entweder ist sie eine Hure, wie es Mrs. Watkins gesagt hat, oder ein Mädchen, das seine Familie in Schande gebracht hat, oder eine Frau, die von ihrem Mann weggelaufen ist. In jedem Fall möchte ich sie nicht auf Dauer in der Nähe meines Sohnes sehen. Wenn es nicht um sein Leben ginge, käme das von vornherein nicht in Frage. Wollt Ihr also unter diesen Umständen immer noch bleiben?« forderte er das Mädchen heraus, das sich murmelnd über seinen friedlich schlafenden Sohn beugte.
Sie hob den Kopf und sah in seine böse glitzernden Augen. »Wie heißt das Baby?«
Ross war verblüfft angesichts dieser leisen Frage.
»Äh... Lee. Ich habe ihn Lee genannt.«
Sie sah lächelnd auf das Bürschlein hinunter und drückte es fest an sich. Ihre Hand strich über seinen Kopf, auf dem wirres, dunkles Haar sprießte. »Lee«, murmelte sie liebevoll. Dann sah sie mit ausdruckslosem Blick zu seinem Vater auf und sagte: »Ich werde Lee versorgen, solange er mich braucht, Mr. Coleman.« Sie hielt einen Augenblick inne und fügte dann noch knapp hinzu: »Selbst wenn das bedeutet, dass ich mich deswegen mit so jemandem wie Euch abfinden muss .«
3
Mich mit so jemandem wie Euch abfinden muss . Mich mit so jemandem wie Euch abfinden muss .
Ross zerrte hart am Pferdegeschirr, während ihre Worte in seinen Gedanken nachhallten. Was zum Teufel bildete sie sich eigentlich ein, dass sie so mit ihm redete? Entschuldigend klopfte er dem Pferd auf die Kruppe, damit es seinen Ärger nicht persönlich nahm.
Er ging zurück an das Feuer, das er kurz zuvor beim ersten Anzeichen der Morgenröte entfacht hatte. Der Kaffee kochte noch nicht. Seit längerem hatte er sich angewöhnt, jeden Morgen Kaffee zu machen und sogar den Speck zu braten, damit Victoria noch etwas länger schlafen konnte. Sie war es nicht gewöhnt gewesen, so früh aufzustehen oder gar sich selbst das Frühstück zu machen; die langen, harten Tage ihrer Reise hatten ohnehin ihre gesamten Kräfte beansprucht.
Ross starrte ins prasselnde Feuer und wälzte zum hundertsten Mal die Frage, warum sie ihn wohl angelogen hatte. Sie hatte ihm erklärt, erst ein paar Monate schwanger zu sein und versichert, das Kind käme erst, wenn sie längst in Texas wären. Angesichts ihres zarten Körperbaus hatte er diese Auskunft hingenommen. Doch schon nach ein paar Wochen Fahrt hatte die rasch wachsende Rundung ihres Bauches sie verraten. Als Ross sich dann nach den näheren Umständen erkundigte, hatte sie ihm beschämt gestanden, dass sie schon länger schwanger war; er jedoch begriff immer noch nicht, was das genau bedeutete. Lee war ein paar Wochen zu früh geboren worden. Es stellte sich heraus, dass Victoria ihn angelogen hatte, um ihr Ziel zu erreichen.
Er konnte verstehen, warum sie die Schwangerschaft vor ihrem Vater verheimlichen wollte. Ihr Vater, Vance Gentry, hatte sich sowieso schon schwergetan zu akzeptieren, dass sie einen einfachen Gehilfen heiratete. Doch warum zum Teufel war sie zu ihm, ihrem Ehemann, nicht offen gewesen?
Ross griff nach der emaillierten Kanne und goss sich heißen Kaffee in eine Blechtasse. Auf der Fahrt zog er dieses Geschirr dem
Weitere Kostenlose Bücher