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Jenseits aller Vernunft

Jenseits aller Vernunft

Titel: Jenseits aller Vernunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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neigte den Kopf zur Seite, um sich im Spiegel, den er an einen Nagel gehängt hatte, besser erkennen zu können.
    »Ja, ehrlich. Sie lag auf der Erde im Regen und war bleich und regungslos wie ’ne Tote.«
    Das Kinn unter dem Rasierschaum spannte sich. »Na ja, jetzt scheint sie jedenfalls wieder vor Gesundheit zu strotzen.«
    Ross wünschte bei allen Teufeln, er könnte sich nicht so gut daran erinnern, wie das Licht der Laterne ihre Brüste beleuchtete. Der ungewöhnliche Schimmer in ihren Augen hatte ihn verhext, so dass er ihren Anblick einfach nicht vergessen konnte. Er wollte seinen Körper ignorieren, es klappte aber nicht.
    Seine Abstammung machte sich bemerkbar. Es war einfach nicht anständig, wie er auf das junge Mädchen reagierte, obwohl seine Frau gerade erst begraben war. Verdammt! Das hatte er davon, dass er der uneheliche Sohn einer Hure war. Egal, mit wie vielen anständigen Leuten man zu tun bekam, egal, was für eine feine Dame man heiratete, früher oder später machte sich einfach der Mangel an gutem Stammbaum bemerkbar. Seiner Herkunft konnte man nicht entrinnen, egal, wie schnell man rannte.
    Und es war nicht mehr nötig als ein Blick auf jemanden wie die Schlampe im Wagen, dass er unausweichlich angezogen wurde wie Eisenspäne von einem Magneten. Sein Versuch, so zu tun, als wäre er etwas Besseres, war eine klägliche Darbietung. Er stammte ebenso aus der Gosse wie sie, doch er hatte sich daraus erhoben.
    Und bei Gott, er würde alles tun, um sich nicht wieder in solche Niederungen ziehen zu lassen. Weder durch sie noch durch sonst jemanden.
    Das Baby wimmerte, und Ross wusste , dass sie es gerade an die andere Brust legte. Seine Hand zitterte. Er schnitt sich mit dem Rasiermesser und fluchte lautlos. Bubba trat nervös von einem Fuß auf den anderen und fragte sich, was er wohl gesagt hatte, um eine so steile Falte zwischen Ross’ Brauen hervorzurufen. Noch nie hatte er den Mann so fahrig gesehen. Natürlich war seine Frau vorgestern gestorben, wahrscheinlich war das der Grund für den finsteren Ausdruck auf seinem Gesicht.
    »Was denkst du, wann wir an den Mississippi kommen, Ross?«
    »Nächste Woche, schätze ich.«
    »Hast du den Mississippi schon mal geseh’n?«
    »Schon oft.« Ross wischte sich mit einem groben Handtuch das Gesicht ab und go ss das Seifenwasser auf den Boden. Vorsichtig trocknete er das Messer ab und packte die Utensilien wieder in die Reisetasche. Das silberne Rasierzeug hatte ihm Victoria letztes Weihnachten geschenkt. Er versuchte, daran zu denken und nicht auf das sanfte Schlaflied zu achten, das im Inneren des Wagens ertönte.
    »Toll, ich hab ’n noch nie geseh’n«, sinnierte Bubba, der immer noch an den Flu ss dachte. »Ich kann’s kaum abwarten.«
    Ross sah den Jungen freundlich an. »Ist auch eindrucksvoll!«
    Der Junge strahlte. »Willst du, dass ich heute deinen Wagen lenke?«
    Ross sah kurz hinüber. »Ja, das wäre nett, wenn deine Eltern dich nicht brauchen.«
    »Nee. Luke kann fahren, wenn Ma was anderes zu tun hat.«
    »Dann sattle ich Lucky und gehe jagen. Ich habe nur gegessen, was mir andere Leute gebracht haben, seit ...« Er verstummte, ein Schatten von Trauer huschte über sein Gesicht. »Heute sollte ich lieber mal selbst etwas schießen.«
    »Ich sag’s meiner Familie. Bis gleich, Ross.« Bubba rannte durch das Lager zum Wagen der Langstons, wo man Ma wie ein Offizier Befehle austeilen hörte.
    Ross sah zum Hinterende des Wagens auf. Die Segeltuchklappen waren geschlossen. Er hatte den Wagen gestern abend verlassen, als Ma der jungen Frau das Bett zurechtmachte, in dem er und Victoria immer geschlafen hatten. Seitdem war er nicht mehr darin gelegen.
    Er hatte sich unter dem Wagen in Decken eingerollt und seinen Sattel als Kopfkissen benutzt. Das störte ihn überhaupt nicht, schließlich hatte er jahrelang so geschlafen. Kaum konnte er allerdings ertragen, dass diese Person in ihrem Ehebett, in dem Victoria gestorben war, schlief.
    Es war ihm noch nicht klar, wie er mit Lydia umgehen sollte, aber aus seinem eigenen Wagen würde er sich von dieser schamlosen Schlampe nicht vertreiben lassen. Entschlossen und ärgerlich schlug er die Segeltuchklappe zurück und stieg hinein.
    Sie schlief. Lee lag, ein winziges Häufchen Baby, zwischen ihrem schützenden Arm und ihrer Brust. Unter dem weichen Baumwollstoff, der sie bedeckte, hob und senkte sich ihr Busen gleichmäßig mit ihrem Atem. Ihr Haar lag um ihren Kopf wie ein wirrer

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