Jenseits des Windes
weshalb bist du immer so steif? Wir sind doch unter uns.«
»Es wurde mir so beigebracht.«
Elane schnaubte. Es war immer dasselbe. Weshalb glaubte sie, die Angestellten bei Hofe würden sich je anders verhalten? Sie seufzte. Und eigentlich hatten sie auch recht. Für eine Prinzessin schickte es sich nicht, sich mit den Bediensteten anzufreunden. Zu dumm, dass all die feinen Damen aus den Adelshäusern, die sie oft besuchten, kein bisschen weniger steif waren.
»Hilf mir, es anzuziehen«, sagte Elane und winkte Lanie zu sich, die wie ein Stock in der Zimmerecke stand. Mit ihrem schwarz-weißen Kleid und der Schürze sah sie aus wie eine Puppe. Lanie nahm pflichtschuldig das Kleid vom Bügel. Es war eigentlich noch zu früh, aber sie wollte dieses wunderschöne Stück Stoff, das ihr Onkel eigens für dieses Dinner hatte anfertigen lassen, unbedingt tragen.
Lanie half ihr aus dem Hauskleid und beim Anziehen des edlen Gewandes. Elane fühlte sich schon jetzt wie eine Königin. Sie rannte zum großen Spiegel in ihrem Schlafgemach, schwang den Saum umher, sodass die Seide schimmerte, und bewunderte sich von allen Seiten. Ihre Locken ringelten sich noch unfrisiert über die Schultern, dennoch bot sie einen hinreißenden Anblick.
»Ist es nicht einfach herrlich? Ich bin schrecklich aufgeregt. Das ist ein wichtiger Tag in meinem Leben.«
»Gewiss, Madam. Soll ich Ihnen jetzt die Haare frisieren?«
»Das wäre eine wunderbare Idee.«
Die nächsten zwei Stunden verbrachte Elane damit, sich herausputzen zu lassen, immer wieder in ihrem Schlafgemach auf und ab zu gehen, aus dem Fenster zu starren und Lanie unermüdlich darauf hinzuweisen, wie sehr sie sich auf den Abend freute. D ie Sonne ging unter und hüllte die Wipfel der Bäume, die am Horizont hinter den Dächern der Stadt das reich bewaldete Vorgebirge bedeckten, in ein orangerotes Licht . Endlich vernahm Elane durch ein geöffnetes Fenster das Geräusch von Wagenrädern, die über Pflastersteine rumpelten.
»Das werden sie sein«, stieß Elane atemlos hervor. Sie lehnte sich weit aus dem Fenster.
»Madam, Sie fallen hinunter!«
Ihre Zofe schlug die Hände vors Gesicht. Elane ignorierte sie. Sie war viel zu aufgeregt.
Ihr Zimmer befand sich im dritten Stock des Westflügels des königlichen Palastes. Sie sah einen Teil des von Blumenbeeten eingefassten sandigen Innenhofes, auf dem mit weißen Kieselsteinen ausgelegte Wege zu den Eingängen der umliegenden Gebäude führten. Doch das Ende des breitesten Weges, der geradewegs zur Haupttreppe führte, konnte sie nur sehen, wenn sie beinahe aus dem Fenster kletterte. Normalerweise tat sie dies oft, hielt sich einfach an dem mit Stuck verzierten Fenstersims fest und verlagerte ihren Schwerpunkt. Doch nicht heute, egal wie sehr die Neugierde sie dazu veranlassen wollte. Das neue Kleid hinderte sie daran. Nicht nur, weil der voluminöse Rock eine solche Kletterpartie nicht erlaubte, sondern weil sich Elane nicht schmutzig machen wollte. Es musste ein perfekter Abend werden. Somit gab sie sich damit zufrieden, sich lediglich weit hinauszulehnen.
Die große Kutsche mit dem mit goldenen Ornamenten versehenen Fahrgastraum und den schweren roten Vorhängen rumpelte gemächlich über den Kiesweg, bis der Kutscher die Rösser zum Stehen brachte und einem Stallburschen die Zügel reichte. Das pechschwarze Fell der Pferde glänzte in der Abendsonne.
Die Kutschentür schwang auf. Elanes Herzschlag beschleunigte sich. Sie hatte Jonneth seit einigen Wochen nicht mehr gesehen. Schon bei dem bloßen Gedanken an ihn wurde ihr schwindlig und es fühlte sich an, als würde sich ein Schwarm Bienen durch ihren Bauch wühlen. Ob er sich verändert hatte? Würde er immer noch so hinreißend aussehen, sodass ihre Knie weich wurden und ihr Puls unablässig in ihren Ohren rauschte?
Zuerst stieg Jonneth’ Mutter Annah aus der Kutsche, gefolgt von seinem Vater Jaham. Elane konnte sein Gesicht nicht genau erkennen, aber sie vermutete, dass er ebenso grimmig dreinblickte wie immer. Feine blaue Seide kleidete Annah und Jaham standesgemäß. Endlich verließ Jonneth die Kutsche. Er war ein Jahr älter als Elane, wirkte mit seinen dreiundzwanzig Jahren aber wesentlich reifer. Sein haselnussbraunes kinnlanges Haar glänzte ebenfalls in der Sonne, vermutlich hatte er ein ganzes Pfund Pomade hineingerieben. Jonneth trug eine Uniform, die ihn noch männlicher, noch attraktiver machte. Er hatte gerade seinen Abschluss an der königlichen
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