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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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steckte. Feine Blutspritzer trafen Kjoren und liefen ihm über die Wangen, als sich der Mann den Kopf aufschlug und leblos zu Boden sank. Kjoren ließ vor Anstrengung zitternd und keuchend sein Schwert sinken.
    Er brummte und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. »Schon merkwürdig, wie die Irrungen des Schicksals manchmal zuschlagen. Jetzt hat er sich selbst getötet.« Er sah zu dem Valanen , der mit geweiteten Augen neben ihm stand und fassungslos auf die Leiche starrte. Langsam drehte dieser den Kopf und erwiderte seinen Blick. Kjoren entging nicht, dass er flüchtig auf sein eisernes Halsband starrte. Er fühlte sich unwohl, fand jedoch schnell zu seinem Selbstbewusstsein zurück. »Nichts für ungut, Bruder. Wir kämpfen auf derselben Seite.«
    Der junge Kerl schluckte. Er öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne etwas gesagt zu haben.
    Das Horn ertönte – drei Mal, der Befehl, dass sich die Soldaten zurückziehen sollten. Er klopfte seinem Kameraden auf die Schulter, zuckte kurz die Achseln und machte kehrt, ohne sich noch einmal nach dem Valanen umzudrehen.
    *

    »Wem gehört dieses Gewehr?«
    Kjoren hob den Kopf, zog die Augenbrauen hoch und setzte den Sack mit dem Feuerholz ab. Er streckte seinen geschundenen Rücken. Erschöpfung und Schmerz durchfluteten ihn, machten auch die kleinste Bewegung zur Qual. Körper und Geist waren gleichermaßen zerbrochen, zerrissen, zerstört. Er verfluchte diese Mission, die Offiziere, ja, sogar den König, und stellte sich jäh die Frage, wie er ohne bleibenden Schaden in sein altes Leben zurückkehren sollte.
    Hauptmann Lenry hatte ihn Holz sammeln geschickt, als Strafe für sein verlorenes Gewehr. Und jetzt, als er gerade zurückgekehrt war, einen schweren Sack Holz hinter sich her schleifend, fuchtelte einer seiner Kameraden mit dem Ding in der Luft herum. Wie ungerecht!
    »Es gehört mir«, sagte Kjoren . Der fremde Soldat kam auf ihn zu und streckte ihm die Waffe entgegen. Kjoren riss das Gewehr an sich. Er versuchte, im Gesicht des Finders irgendein Anzeichen für einen Vorwurf zu entdecken, doch darin war nichts zu lesen als die Ehrlichkeit eines Kameraden. Kjoren wandte sich ab.
    »Ein Danke wäre nett gewesen«, rief ihm der Soldat hinterher.
    »Oh, ja. Danke«, sagte Kjoren nicht ohne einen Hauch Sarkasmus in der Stimme. Er setzte sich auf einen umgestürzten Baum und lockerte die Schnürung seiner Stiefel. Seine Füße schienen den einzigen Zweck zu erfüllen, ihm unerträgliche Schmerzen zu bereiten. Seine Hände waren schwielig, die Unterarme mit Schrammen und Narben übersät. Sein Magen krampfte sich vor Hunger zusammen und das Gewicht seines Halsbands erinnerte ihn unablässig daran, dass er nicht hierher gehörte. Unmut und Verzweiflung fraßen sich in seine Eingeweide wie Säure. Wenn es heute noch jemand wagen sollte, ihn zu provozieren, würde er seinem Frust Luft machen und demjenigen ins Gesicht schlagen, was ihm unweigerlich eine weitere Strafaufgabe bescheren würde ...
    Der Abend kroch über das Land. Jemand machte sich daran, Kjorens Holzsack zu entleeren und die gesammelten Äste aufzuschichten. Langsam suchte sich die Kälte einer bevorstehenden sternklaren Nacht ihren Weg durch Kjorens Kleidung. Er sah sich um und unterdrückte ein Gähnen. Sie hatten einige Verluste zu beklagen, aber Hauptmann Lenrys Truppe zählte noch mehr als hundert Mann, sie hatten demnach weniger als ein Fünftel ihrer Soldaten im Gefecht verloren. Sie hatten sich bereits auf den Weg zurück zur Kaserne nach Lyn , dem größten Kontinent des Reiches, machen wollen, als sie auf das Dorf der Firunen gestoßen waren.
    Es war keineswegs vonnöten gewesen, die Bauern anzugreifen. Aber sie hatten die Herausforderung mehr als bereitwillig angenommen und tapfer gekämpft, wie Kjoren eingestehen musste. Sie befanden sich auf einer Mission, deren vorrangiges Ziel es war, neue Gebiete zu erschließen, wilde Firunen zu bekehren und sie niederzuzwingen. Ursprünglich hatte König Adoran geglaubt, es würde eine friedliche Mission werden. Man wollte den Firunen anbieten, sich dem König zu unterwerfen, um im Gegenzug all die Annehmlichkeiten der Zivilisation zu erhalten und genießen zu können.
    Kjoren stellte die Stiefel beiseite und betastete seine geschwollenen Füße. Er kannte sein Volk nur allzu gut. Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass sich die verbliebenen wilden Firunen niemals auf einen solchen Handel einlassen würden. Jetzt war das friedliche

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